LXVI. Liebesbrief





Darf ich meinen Augen trauen, Alma? Du hast mir geschrieben, Du nimmst die Freundschaft wieder in Anspruch, welche uns verband! Mein vom Schmerz verdorrtes Herz hat noch einmal vor freudiger Bewegung zittern können. Gott wird es Dir lohnen! Möge der Engel, welcher über Deine Tage wacht, Dich mit einem schützenden Fittiche bedecken, möge er die Wut der Stürme fesseln, und Dich auf Deiner fernen Bahn geleiten; möge er Dich in Gesundheit, Glück und auf dem Gipfel deiner Wünsche zurückführen, und die Gaben des Reichtums über Dich ausschütten, welche Du suchen zu müssen glaubst. Vielleicht bist Du berufen, in jener neuen Welt einen hohen Einfluss auszuüben, indem Du das Feuer der Einbildungskraft in Seelen erweckst, welches von dem düsteren Brüten des Puritanismus, und den kalten Berechnungen der kaufmännischen Interessen unterdrückt wird. Gehe, stets glücklich Deinen Beruf zu erfüllen. Diese Abreise flößt mir einerseits Angst ein, und gibt mir andrerseits die Hoffnung, dass sie Dir dazu dient, Dich ohne Zweifel den Netzen eines gehässigen Einflusses zu entziehen, die seit einiger Zeit Dein Leben umstricken. Alma, es kann nur wenige Menschen geben, welche fähig und würdig sind, Deinen Wert genau zu ermessen. Unaussprechliche Reize, sanfte und edle Neigungen und der glänzende Heiligenschein des Talents und Genies, bilden in Dir ein so außerordentliches Wesen, dass das Glück für Dich vielleicht nur negativ sein kann; es besteht so zu sagen nur darin, dass Du dem Übel entgehst. Dies ist beinahe immer das Schicksal derjenigen, deren Empfänglichkeit und Gesinnungen sie zu sehr über die eitlen und selbstsüchtigen Interessen des großen Haufens stellen; sie verbreiten Glück um sich, können es aber selbst nicht erreichen; sie sehen den Gegenstand, welcher ihrer Seele entsprechen würde, nur in der Hoffnung, oder wenn er ihnen erscheint, so gleicht er nur einem flüchtigem Blitze, der auf einen Augenblick leuchtet, um die Finsternis dann noch schwärzer zu machen. Deshalb bemühe Dich, in Deinen Beziehungen zu Personen, welche in Deiner Nähe stehen, so wie zu denen, welche danach streben, die Neigung Deines Herzens in seinen Empfindungen für sie, zu mäßigen. Je größer die Opfer sein würden, um so geringer würde man sie Dir anrechnen. Bewahre hinfort fest Deine Unabhängigkeit, die einzige Gewähr für Dein Wohl, einen Schatz, dessen ganzen Wert man erst erkennt, wenn man sich seiner entäußert hat. Übrigens hat die Welt, indem sie Dir enthusiastisch Beifall zollt, und die Vorteile des Reichtums zu Deinen Füßen legt, Dir Alles gegeben, was sie geben kann; aber das was Erhabeneres in dem zauberischen Ganzen Deiner Eigenschaften liegt, das kann sie nicht verstehen, sie wendet sich davon ab, sie wird davon verdunkelt, oder sucht es zu entstellen und verletzt Dich in der Quelle Deiner Neigungen, einer heiligen Quelle, die Schicksalen anzugehören scheint, welche die Erde nicht verwirklicht! Alma, bleibe frei! Für Dich müssten Blumen-Banden geflochten werden, deren Glanz und Wohlgeruch sich unsterblich erhielte. Du kannst Dir denken, was ich leiden musste, als in jener Zeit, deren Stunden wie Jahre auf mich lasteten, ein einziger Begriff unaussprechlichen Schmerzes sich in alle meine Gedanken einschlich; und jetzt wo es der Himmel Dir eingegeben, einige Worte zärtlichen Andenkens an mich zu richten, erscheint mir diese Glückseligkeit wie der letzte Augenblick des Wohlseins, der Vorbote des Todes. Alma, Abgöttin meines Daseins, ich segne Dich mein Engel, so wie die, welche dich begleitet, und den Gedanken, welchem ich Deinen geliebten Brief verdanke. Indem ich ihn las, glaubte ich unter dem Zauber eines Traumes zu stehen, und als ich nicht mehr daran zweifeln konnte, dass Deine Hand ihn geschrieben, war mein erster Entschluss, sogleich abzureisen und zu Dir zu kommen; aber als ich mich der unzerstörbaren Schranken erinnerte, die mich umgeben, so erkannte ich die grausame Unmöglichkeit, welche meine Wünsche fesselte; also kann nur meine Seele Dich auf Deinen Wegengeleiten. Ich verkündige Dir als eine aufmunternde Vorbedeutung, dass ernsthafter Hindernisse ungeachtet, das zu Deinem Gunsten vor drei Jahren getane Gelübde, in dem Augenblick erfüllt werden wird, wo Du Deine gefährliche Reise antrittst. Lebe wohl, teures Licht meines Herzens, empfange noch einmal meine Wünsche für Dein Glück.