LVII. Liebesbrief
Heute am 6. Juli habe ich Deinen ersten Brief in ... erhalten. Er war ohne Datum, daher ich nicht weiß, wie lange er unterwegs gewesen ist. Deine geliebten Worte machen meine Schmerzen minder empfindlich. Der erste Gedanke, welcher in dem Augenblicke in mir aufstieg, als ich einen Blick auf die Trümmer warf, welche mich umgeben, auf die einstürzenden Mauern, auf das herausgerissene Täfelwerk und das trostlose Aufgeben aller Ordnung, worin ich mein Eigentum traf, war folgender: Was würde meine angebetete Alma gesagt haben, wenn sie hierher gekommen wäre? Es ist wahr, dass Deine Gegenwart den Anblick dieses Orts für mich wie durch einen Zauberschlag zu verwandeln vermocht hätte, aber ich wage es nicht, mir zu schmeicheln, dass meine zärtliche Aufmerksamkeit hingereicht haben würde, meiner Alma, dem herrlichsten, bewunderungswürdigsten Weibe, den Aufenthalt in diesen wilden Gegenden und unter den Menschen, wie sie hier vegetieren, angenehm zu machen. Die reizende Lage, in welcher sich meine Wohnung befindet, bringt das einzig angenehme Gefühl hervor, welches ich empfunden habe; Die Gesellschaft M...'s und eine alte Bibliothek, welche mir ein glücklicher Zufall erhalten hat, machen meine einzigen Zerstreuungen aus. Das Wetter ist beständig schön; ich, der ich die Sonne so sehr liebe, wie müsste ihr Einfluss in andern Ländern angenehm auf mich sein! Wenn das Herz befriedigt ist, so befindet man sich überall wohl; jede Jahreszeit hat ihre Reize; aber wenn ein Gewicht das Gemüt niederdrückt, das Gefühl erstickt, dann wird die Sonne lästig, und der Frühlingshauch zieht die Nerven schmerzhaft zusammen. Ich wünsche, meine sehr liebe Alma, dass Du in London alle Vorteile finden mögest, die Du hoffst; Du hast Recht mit Eifer an Deinem Vermögen zu arbeiten; es ist ein großer Hebel zum Glücke, vorzüglich in diesem kaufmännischen Zeitalter. Ich dachte ehemals nicht so; die Empfindungen des Herzens waren Alles in meinen Augen. Ich betrachtete den Reichtum als eine große Nebensache, und da ich einmal gewohnt war, danach zu handeln, so konnte ich mich in dieser Beziehung nicht mehr ändern, obwohl ich einsehe, dass ich Unrecht gehabt habe. In der Tat, wenn ich, anstatt einen Teil meines Vermögens durch Sorglosigkeit einzubüßen, im Gegenteil die Leichtigkeit, welche sich mir zu seiner Vergrößerung darbot, benutzt hätte, so wären vielleicht manche Hindernisse, welche mich von Dir trennen, beseitigt worden, während ich jetzt weit von dem Gegenstande leiden muss, der allein meine Wünsche befriedigen kann. Ich denke diesen Winter in M... zuzubringen, wenn mich einige unvorhergesehene Widerwärtigkeiten nicht davon abhalten. Weil aber Du nicht dahin kommst, so gehe ich ohne andere Befriedigung hin, als die, mich aus diesem Lande zu entfernen. Ich spiegele mir nichts vor; ich sehe klar, dass das Glück, in Deiner Nähe zu leben, mir wahrscheinlich auf immer versagt bleiben, dass ein trauriges Schicksal stets den glühendsten Wünschen meines Herzens ein Hindernis in den Weg legen wird; auch versichere ich Dich, dass das Leben keinen Reiz mehr für mich hat. Ich betrachte den Zustand meiner Angelegenheiten mit Gleichgültigkeit und Abspannung; mein Dasein hat kein persönliches Ziel mehr, noch eine Zukunft, und ich beschränke meine Tätigkeit darauf, strenge meine Pflichten zu erfüllen; daran werde ich es nie fehlen lassen, sollte es mir auch noch so schwer werden. Ich wusste, dass I... das Glück haben würde, Dich zu sehen, aber er war noch nicht entschlossen, ob er die Reise mit E... machen würde. - Ich glaube, dass ich ungerecht gegen sie gewesen bin; meine Leidenschaft für Dich nahm mich leicht gegen Alles ein, was mir ein Hindernis für sie schien; aber ich habe, vorzüglich im Augenblick meiner Abreise gesehen, dass sie eine wirkliche Anhänglichkeit für mich hat. Du sagst mir, meine Geliebte, dass der Aufenthalt von E... und von I... bei Dir in London für mich eine Gewährleistung sein müsse, dass Du gut behütet würdest. Ich versichere Dich, dass mir dieser Gedanken niemals eingefallen wäre. Die schöne, die geistreiche, die entzückende Tänzerin, mit einem Worte, die unvergleichliche Alma kann nur durch sich selbst behütet werden, oder von einer Legion geflissentlich vom Himmel gesandter Engel, um bei ihr den Dienst als Leibwache zu versehen. Glaubst Du meine Freundin, ich könnte mir einbilden, dass so viele Reize den eifrigen Bewerbungen und Verführungen immer entgehen könnten? Das würde ein zu großes Wunder sein; ich muss mich auf den Wunsch beschränken, dass du nicht das Opfer irgend eines bösen, selbstsüchtigen Menschen werden, und die unglücklichen Folgen solcher Verbindungen vermeiden mögest. Du hast also, meine geliebte Alma, den für mich ewig denkwürdigen Tag nicht vergessen, an welchem Du alle Aussichten meines Daseins verändert, und mir ein neues Schicksal vorgezeichnet hast. Du versprichst mir das Datum auf einen Ring stechen zu lassen, und ihn beständig mit dem zu tragen, den Dir Deine Mutter gegeben hat; verfehle nicht, dieses Versprechen zu erfüllen, damit dieses Andenken, stets Deinen Augen gegenwärtig, Dich an einen wahren Freund, an ein aufrichtig ergebenes Herz erinnern möge. Ich teile Dir nichts Näheres über meine hiesige Lage mit. Es ist unnütz und würde schlecht von mir sein, ein düsteres Gemälde zu schildern. Ich will nicht den geringsten Schatten auf Dein schönes Dasein werfen. Die prosaische und traurige Wirklichkeit reißt mich aus den bezaubernden Träumen, mit denen ein Gedanken Almas mein Herz erfüllt hatte. Ein feindliches Geschick entfernt das Glück von mir, das ich zum Ziel aller meiner Wünsche machte. Lebet wohl, süße Hoffnungen, geliebte Täuschungen, lebe wohl, meine Alma.