LVIII. Liebesbrief
Da bin ich, dem Himmel sei Dank, wieder nach dem vielgeliebten Deutschland zurückgekehrt. Ich traf in ... mit der Hoffnung ein, dort Nachrichten von meiner Alma zu finden. Ich lief zu S..., und das erste Wort, welches er aussprach, brachte mir ein mit schmerzhafter Täuschung gemischtes Glück; er verkündigte mir, dass er so eben einen Brief für mich aus Paris erhalten, welcher nach der Beschreibung, die er mir davon machte, nur von Dir sein konnte, dass er ihn aber, in dem Glauben, ich sei noch auf meinen Gütern, nachgeschickt habe. Ich hatte ihm zwar anzeigen lassen, dass er meine Briefe an sich behalten sollte, weil ich abreisen würde; aber durch die abscheuliche Unregelmäßigkeit der Post, in ..., war ihm diese Nachricht nicht zugekommen. So wurde meine Freude vereitelt, und ich werde die von Deiner angebeteten Hand geschriebenen Zeilen nicht so bald sehen. Es werden viele Wochen vergehen, ehe dieser Brief nach M... zurückkommt, und ich aus seinem Inhalte Deine Gedanken und Deine gegenwärtige Lage ersehen kann Begünstigt, oder vergessen von Dir, gehören Dir stets meine Gedanken jedes Augenblicks. Du bist für mich wie die unbestimmte Hoffnung auf ein künftiges Dasein, auf welches man nicht zu rechnen wagt, und worauf man doch nicht gänzlich verzichten kann. Ich täusche mich nicht über die Hindernisse, welche Dich von mir entfernen; Du wandelst wie der Frühling, täglich von einer schöneren Sonne beleuchtet; ich, wie der Herbst, gehe düsteren und bewölkten Nächten entgegen. O ja! die Freundschaft ist mir allein erlaubt; die Liebe ist ein Wort, welches ich nicht aussprechen sollte, aber wer weiß zu welchem Zweck das Schicksale alle Kräfte meines Herzens auf Dich richtet! Dein Andenken begeistert mich bei jeder guten Handlung; es entfernt mich von Alem, was mir Deinen Tadel zuziehen könnte. Du bist der Schutz-Engel meiner eele; ich habe schon Jahre lang von Dir geträumt, ehe ich Dich kannte; Du hast mir einen Blick zugeworfen, und ich wurde auf ewig mit Banden an Dich gefesselt, welche man nur mit dem Leben vernichten kann! Sollte ich es vergebens vorziehen, unglücklich durch Dich zu sein, anstatt durch irgend Jemand glücklich zu werden, und sollte mein Dasein nicht dazu bestimmt sein, einen günstigen Einfluss auf das deinige zu haben? Diese Gedanken leiten meine Schritte, und trösten mich allein in meinen Leiden. Ich hoffe in einigen Tagen in M... zu sein; dort werde ich wahrscheinlich von E... erfahren, was sie mir von Dir mitzuteilen für gut findet. Ich habe vier tödliche Monate in einem von der übrigen Welt durch schwer zu überschreitende Schranken isolierten Lande, zugebracht. Die Künstler sind kaum den Namen nach an diesen Orten bekannt, deren Bewohner sich nur mit den Sorgen um das materielle Leben zu beschäftigen wissen. Das Leben der Seele bleibt dort ohne Kultur, oder wird falsch verstanden. Wenn meine Alma dort erschiene, so würde man sie bewundern, weil sie für alle Augen anziehend ist, aber ihre unerklärlichen Reize, welche nur ein Geist zu schätzen weiß, der geübt ist, den wahren Charakter des Schönen zu unterscheiden, ihre Anmut, ihr Genie, würden unbemerkt vorübergehen. Du, die Du meine Art zu sehen kennst. Du begreifst, dass ein solcher Aufenthalt mir keine angenehme Hilfsquelle eröffnen konnte. Ich wollte diesen Brief auf die Post bringen lassen, als mir einfiel, dass meine Alma vielleicht nicht in Paris ist, und dass es besser wäre, zu warten, um über ihren gegenwärtigen Aufenthalt Gewissheit zu erhalten. Ich habe daher meinen Brief behalten, und bin in der Stunde meiner Ankunft in M... zu E... gelaufen. Es war Abends, ich habe sie allein, mit einer Musik-Studie beschäftigt gefunden, ich kann Dir nicht beschreiben, wie groß ihr Schreck bei meinem plötzlichen Erscheinen war. Sie empfing mich mit allen Äußerungen einer aufrichtigen Freude, was mich tief rührte; wenn mein Herz nicht ganz Dir gehörte, so würde ich sie aus Erkenntlichkeit geliebt haben. Aber was sage ich! ich eine andere lieben als Alma! ich kann mir nicht einmal die Möglichkeit denken. Du allein, Gebieterin der süßen Bewegungen meiner Seele, Du nimmst Alles, was in meinen Gefühlen edel und erhaben ist, in Anspruch. Ich weiß jetzt also, mein guter Engel, dass Du wohl und glücklich, dass Du nicht in London gewesen bist, sondern bei Deiner Familie, in Deinem Vaterlande, wo Du wie überall, den schmeichelhaftesten Beifall erhalten hast. Ich weiß, dass Du nicht nach M... kommen wirst, wo Herr von ..., einzig in Europa, Dein Verdienst verkennt. Ich werde Dich also nicht sehen; dies ist wieder eine grausame Prüfung, welche ich bestehen muss. Ich erwartete es, und doch hat mir die Gewissheit meines Unglücks fürchterlich weh getan. Schwarze Gedanken überwältigen mich, und eine tiefe Entmutigung bemächtigt sich meiner; alle meine für einen Augenblick ertöteten Schmerzen, erwachen viel heftiger. Alma, meine Alma, mögen, wenn das Schicksal mich von Dir trennt, zum wenigsten unsere Seelen häufig mit einander verkehren.