LXIV. Liebesbrief



Nach dem, was ich so eben empfunden habe, kann ich nicht daran zweifeln, dass es unbegreifliche Kräfte gibt, die uns zuweilen durch Vorgefühle von dem benachrichtigen, was uns widerfahren soll. Diesen Morgen hat eine dieser durch ihre plötzliche Verwirklichung außerordentlichen Bewegungen, mir nicht nur verkündet, dass ich in einigen Augenblicken wichtige Nachrichten erhalten müsste, sondern sie hat mir auch die unerwarteten Empfindungen angedeutet, welche sie in mir erwecken würden. In der Tat wurden mir auch, zwei Stunden später, meine Briefe überbracht, und ihre Durchlesung hat meine liebsten Träume mit einem Trauerflor bedeckt. Alma, möge Deine Seele Dich auf eine Weise leiten, welche der Eigenschaften würdig ist, mit denen Dich die Vorsehung begabt hat! Meine Handlungen haben jetzt keinen Zweck mehr; der Schmer; ist die einzige Nahrung meiner Gedanken; es bleibt mir nur Tätigkeit, um zu leiden; dies werden für mich die Folgen einer zu lebhaft gefühlten Neigung sein. Ich würde Unrecht gehabt haben, Dir Vorwürfe zu machen, denn die Handlungen eines hoch stehenden Weibes, müssen auf eine andere Weise beurteilt werden, als die eines gewöhnlichen. Nicht ein Wort darüber zu äußern, war mein erster Entschluss, aber der Gedanke, dass dieses Stillschweigen von Dir falsch ausgelegt werden könnte, veranlasst mich Dir zu schreiben. Was mir über mitgeteilt worden ist, könnte glauben machen, dass ich von jener Verblendung beherrscht würde, welche die Leidenschaft hervorbringt; dem ist aber nicht so. Ich liebte Dich und liebe Dich noch mit der heftigsten Hingebung, denn es gibt nichts Bezauberndes auf der Erde, als Du, aber der Instinkt des Herzens würde für mich schon hinreichen, um die kleinsten Nuancen in Deinen Worten oder Handlungen nicht unbemerkt zu lassen. Ich verschloss das grausame Wehe, was ich empfand in meinem Busen, ich hoffte, dass mit der Zeit, eine so zärtliche und treue Freundschaft Dein Vertrauen verdienen würde. Meine Wünsche haben sich nicht verwirklicht; ich habe kein Recht mich darüber zu beklagen; indessen waren die Ratschläge, welche ich mir erlaubte Dir zu geben, nur von dem eifrigen Wunsche eingegeben, Dich glücklich zu sehen. Das Schicksal hat bestimmt, dass Du sie verwerfen solltest; ich kann indessen nicht umhin zu glauben, dass, wenn verhängnisvolle Hindernisse mich nicht fern von Dir gehalten hätten, es mir doch gelungen sein würde, Dich in den Gesinnungen zu bestärken, mit deren Erhabenheit ich Deine Reize und Deine Talente in Beziehung zu bringen wünschte. Die Vollkommenheit ist der Traum meines Lebens gewesen, und wenn die erhabene Verbindung des Genies und der seltensten Schönheit mit den wohltuenden Eingebungen des Herzens, ein in dieser Welt zu verwirklichendes Wunder ist, so konnte nur in Dir diese so vollständige Vereinigung stattfinden! Mögen verderbliche Einflüsterungen die engelgleichen Anlagen in Deiner Seele nicht verwischen, deren Keim Du in Dir trägst! Ich bin sehr unglücklich, aber ich entschuldige Alles an Dir! Wer hätte keine Fehler begangen? bin ich davon frei, habe ich mir keine vorzuwerfen? Darf ich mich darüber wundern, dass Du, so sanft und furchtsam gemacht, von bösen und ränkevollen Menschen umgeben, ihnen zum Opfer wirst? Wenn Du noch vollkommener wärest, so würdest Du aufhören Weib zu sein; Du würdest dieser Welt nicht angehören. Ich habe zu viel verlangt, und der Himmel hat mich meines Stolzes wegen bestraft! Aber Du, die ich nicht mehr mein zu nennen wage, Alma, nimm Dich in Acht! Diese Kette, welche man Dir auferlegt, welche jetzt mit ihren Windungen Dich kaum zu berühren scheint, wird ihre Ringe täglich enger zusammenziehen, und eine neue Kraft, ein neues Gewicht hinzufügen; dann werden vielleicht Tränen und Blut nicht mehr hinreichen, ihrem nagenden Drucke zu entrinnen. Sei versichert, Gott sieht es, dass ich wünschte, Dir mein Leben ohne andere Absicht zu weihen, als nur um zu suchen, Dir nützlich zu werden. Deine Achtung war meine Belohnung. Ich liebte Dich mit jener Anbetung, welche für mich nur in der Gewissheit Deines Glückes, Deiner Erfolge, Zufriedenheit zuließ; durch grausame Gesetze von Dir entfernt gehalten, leitete das Andenken an Dich alle meine Hoffnungen, und mein Herz sehnte sich nur nach der Freude, Dich zu überzeugen, dass die Freundschaft, welche ich Dir widmete, aufrichtig und ergeben wäre. Das Glück dessen Du genössest, der Anblick der von Deiner geliebten Hand geschriebenen Züge, waren der einzige Trost meiner langen Schmerzen. Indessen bemerkte ich seit einiger Zeit, dass Deine Worte mit Deinen Gedanken häufig nicht übereinstimmten, und dass Du mir jene halbe Wahrheiten sagtest, deren man sich bedient, um die Wirklichkeit zu verschleiern. Alma, Verstellung konnte Dir vielleicht gegen gefährliche, herz- und gewissenlose Personen dienen, welche sich um eine Künstlerin, aus Eitelkeit oder um zu verführen sammeln; aber es war ungerecht, unnütz, und sogar schädlich, sie gegen einen rechtlichen Mann anzuwenden, welcher Dich mit allen Kräften seiner Seele liebte. Man hat Dich auf eine gefährliche Bahn gedrängt; Du kannst mir nicht mehr sagen, was Du mir einst schriebst: "Ich bin ruhig, unabhängig und darüber glücklich!" Aber höre mich, obgleich nur noch Verzweiflung in meinem Herzen herrscht, so verberge ich Dir doch nicht, dass ich mich von jener leidenschaftlichen Sympathie, mit welcher das Geschick mich an Dich gefesselt hat, nicht losreißen kann, und wie groß auch Dein Fehler sein mag, so wird doch meine zärtliche Freundschaft mit ihren Wünschen stets den Engel begleiten, den ich geliebt habe. Endlich, heute, als ich den fürchterlichen Schlag erhielt, beschäftigte mich doch vorzüglich die Furcht, dass irgend eins meiner Worte Dich beleidigen möchte, und wie großes Unrecht Du auch haben könntest, so möchte ich Dich dennoch um Verzeihung bitten. Aber man hat einen Abgrund zwischen uns gegraben; meine Hand kann die Deinige nicht mehr erreichen; ich habe aber auch Veranlassung dazu gegeben, und meine Schmerzen werden mein Unrecht übersteigen.


