LI. Liebesbrief





Bei der Ankunft Deiner Briefe erheben sich tausend Gedanken der unüberschwenglichsten Liebe auf einmal in mir, jedes Wort scheint mir Schätze von Glück und Hoffnung zu bringen. Ich warte dann, um sie wieder zu lesen, bis ich ruhig geworden bin. Diesmal habe ich Zeit genug dazu gehabt, denn erst vorgestern ist mir Dein Brief von 12ten zugekommen. Er hat im ersten Augenblick einen der stärksten Eindrücke, welche ich je empfunden, auf mich hervorgebracht. Es waren bezaubernde Täuschungen, deren Entzücken in meiner Seele eine unaussprechliche Freude hervorbrachten. Nach dieser außerordentlichen Bewegung fühlte ich mich so abgespannt, als wenn ich von einer Krankheit aufstände; nachdem ich dann Deine Worte wieder gelesen hatte, habe ich deren wahren Sinn erkannt, und meine Luftschlösser verschwanden, wie der Azur des Himmels unter finstern Nebeln verschwindet. Ich kann Dir also jetzt vernünftig schreiben, obgleich mit traurigem Herzen. Meine angebetete Alma, Du übst eine ungemessene Macht über mich aus; aber das Übermaß der Leidenschaft lässt mich so viele Fehler begehen, dass es scheint, als wäre es in dem Buche der Schicksale bestimmt, dass ich das Gut, welche ich über Alles schätze, nicht zu bewahren verstehen sollte. Du sagst mir: "Hoffe, denn Hoffnung ist das Leben," ja, das ist wahr, aber es gibt traurige Ausnahmen, wo die Kette des Lebens schwer zu schleppen ist, und doch die Hoffnung nicht mehr da ist, um das Gewicht zu erleichtern. Ich möchte gern leben um zu hoffen, aber nicht hoffen um zu leben, denn was gilt mir das Leben ohne Dich! - Du bist über meine Denkungsart in Bezug auf ... im Irrtum ... Du kannst mich nicht kennen, wie ich Dich kenne, ich, den die magische Flamme einer glühenden Neigung über den Sinn des geringsten Deiner Worte, Deiner Bewegungen oder Blicke aufklärte; Nichts entging mir ich las in Deiner Seele, soviel ich lesen wollte, und für mich war Dein Stillschweigen häufig eben so beredt, als es die vertrauteste Unterhaltung sein konnte. Wenn ich jetzt, entfernt von Dir, mich zuweilen in dem Sinn Deiner Worte irre, so ist es nur in so weit, als ich es den Täuschungen erlaube, mein Herz einzuwiegen. So gebe ich mich bald süßen, bald schmerzhaften Träumen hin; aber bei'm Erwachen finde ich die Wirklichkeit wieder; der Instinkt des Herzens leitet mich bei den Urteilen, welche ich über Dich fälle, und glaube mir, ich lasse Dir sogar in Dingen Gerechtigkeit widerfahren, welche mir sehr schmerzhaft sein könnten. Alma, ich erinnere mich, Dich gebeten zu haben, mir ein Veilchen zu schicken, welches Du an Deinem Busen getragen hast; ich hätte Dich eher bitten sollen, mir eine Blume zu schicken, welche den Tod gibt! Wie süß würde mir ein solches Geschenk von Deiner Hand sein! Der Gedanke für Dich oder durch Dich zu sterben, umschließt für mich eine köstliche Hoffnung, die einzige wahrscheinliche für mich.