LII. Liebesbrief
Meine geliebte Alma, die Schilderung, welche Du mir von der Eifersucht, den Ränken und den gehässigen Leidenschaften unter Künstlern machst, ist schmerzlich, aber meine Freundin, ist es nicht eben so in der Gesellschaft im Allgemeinen betrachtet, mit dem einzigen Unterschiede, dass, da dort der Zweck der Handlung sehr verschieden ist, man die Schritte den Augen des Publikums leichter verbergen kann. Vielleicht müsste man, damit die Kunst zu einer hohen Stufe der Vollkommenheit gelangte, sie von allen Einflüssen und Beweggründen entfernen, außer von denjenigen der Leidenschaft, sie mit Erfolg zu üben und dem Verlangen, zu gefallen! Was ich aber für gewiss halte, ist, dass die Einrichtung von Gesellschaftstheatern, wo man einen gründlichen Kursus in allen Zweigen der szenischen Kunst durchmachte, für die Frauen von großem Vorteil sein müsste; diese Übungen würden sie in ihrer Haltung graziöser machen, und jene mit Manieren überladene Ziererei verbannen, die sie sich zum Gesetz machen, und von der sie sich nur loszumachen wissen, um in das Übermaß einer ungeschickten Ungebundenheit zu verfallen. Ich kann nicht ohne Widerwillen jene Tänze sehen, bei welchen man es sich vorgenommen zu haben scheint, die steifen Bewegungen der Automate nachzuahmen; noch mehr aber fliehe ich die Halb-Talente in der Musik, da sie selbst den Vergleich mit der mittelmäßigsten künstlerischen Ausführung nicht vertragen, und sich doch zwangsweise in den Salons einer befohlenen Bewunderung aufdringen. Eine Künstlerin von gleicher Schönheit mit einer Frau aus der vornehmen Gesellschaft, hat immer über die letztere einen ungemeinen Vorteil, denn sie wirkt lebhaft auf die Einbildungskraft, welche die andere durch schlecht ausgeübte und schlecht angewandte Grazie erkältet. Den Herrn ..., dessen Du erwähnst, kenne ich nicht, und habe ihn auch niemals gesehen; aber er ist hier zu Lande bekannt; man hat mir gesagt, dass der Titel, unter welchem Du ihn bezeichnest, seinerseits eine poetische Freiheit ist, wenn er sein Diplom nicht, wie der Marquis von Carabas, von seiner Katze erhalten hat. Man behauptet, dass er der Sohn eines Postbeamten ist. Eine solche Abstammung ist keineswegs der Art, um darüber zu erröten. Dieser Beruf hat wichtige Personen hervorgebracht, wovon der Postmeister von Varennes und der Postillon von Lonjumeau, Zeugen sind; aber schlimm ist es, sich für etwas auszugeben, was man nicht ist. Da es übrigens scheint, dass dieser Mann mit Kühnheit, Beredsamkeit und Talent zur Intrige begabt ist, so hat er es von einem Kreise zum andern bis zu den auswärtigen Angelegenheiten gebracht; ich hoffe, liebe Alma, dass Du ihn dort fallen, oder ihm zum wenigsten nur eine eben so zurückhaltende als vorsichtige Aufnahme angedeihen lassen wirst.