LIII. Liebesbrief





Meine angebetete Alma, einer meiner Briefe ist also das Thema einer Erörterung gewesen, an welcher Du Teil genommen hast. Es gibt Personen, welche sehr hoch auf dem Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen zu sitzen glauben, wenn sie die hundertjährige Redensart auskramen: "Die Rolle des Weibes ist groß und schön; sie besteht darin, Gattin und Mutter zu sein." Wenn man diesen unüberwindlichen Schluss mit seinen eigenen Waffen bekämpfen will, so könnte man aus nicht weniger guten Gründen behaupten, dass der Mann nur geschaffen wäre, um Gatte und Vater zu sein. Diese Theorie ist sogar, wie man sagt, in entfernten Jahrhunderten siegreich in Ausübung gebracht worden, und zwar so weit, dass es aller Kräfte eines Helden mit der Keule bedürfte, um solche Gesetze zu vernichten; man hat ihr Dasein in die Kategorie der Fabeln gestellt: aber hat man nicht häufig geflissentlich das Wahre für falsch und das Falsche für wahr ausgegeben? Was verhindert denn Dein Wiederauftreten in der Oper? Diese Zögerungen verdrießen Dich, und der Gedanke, dass Du leidest, vermehrt mein Unglück noch! Kann ich die Lage anders nennen, welche mich seit so langer Zeit fern von meiner Alma festhält, und mir vielleicht niemals erlauben wird, Dich wieder zu sehen! Die einzige Hoffnung, welche mich in diesem traurigen Dasein erhält, ist, dass Du nie an meinem Herzen zweifeln wirst. Du bist für mich, was das Licht der Sonne für die Welt ist; so lange noch ein Strahl Deiner Freundschaft bis zu mir dringt, so lange macht er mir das Leben möglich. Ich habe den Artikel von ... gelesen, dessen meiner Alma so würdigen Ausdrücke mir eine süße Befriedigung gewährt haben. Dies ist der Schriftsteller, welcher Dich am besten schätzt, und der den Enthusiasmus, den Du einstoßest edel ausspricht; denn Du bist mehr, als eine große Künstlerin, und Dich loben, wie man diejenigen lobt, welche diesen Titel verdienen, heißt den Beweis liefern, dass man Deine alle Grenzen in jeder Beziehung übersteigende Überlegenheit nicht zu verstehen weiß; die Ausdrücke, welche für Andere eine Schmeichelei sein würden, reichen kaum aus, um Dir einfache Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich bin von folgenden merkwürdigen Worten des Blattes gerührt worden: "Das Wiederauftreten Alma's wird wie ein öffentliches Fest sein, für das es niemals genug Bravos geben kann, niemals hinreichende Beweise des Beifalls, sowohl für die Künstlerin, welche man bewundert, als für die Person, welche man achtet." Alma, mein guter Engel, wenn die Wünsche der reinsten, der aufrichtigsten Anhänglichkeit für den geliebten Gegenstand etwas Gutes herbeiführen können, so bringen Dir die meinigen Glück; ach! um Dich glücklich zu wissen, bin ich bereit in mir Alles zu opfern, sogar die Bewegungen der Leidenschaft, welche mich verzehrt. Es ist dem Menschen nicht gegeben, die Selbstverleugnung weiter zu treiben. Lebe wohl, Engel, sprich zu mir immer wie zu einem treuen Freunde, welcher will, dass Du im Innersten seiner Seele lesen kannst, und der keinen Gedanken gegen Dich halb äußert.