L. Liebesbrief
Meine angebetete Alma, drei Wochen sind vergangen, ohne dass ich einen Augenblick der Ruhe, der Freiheit gehabt hätte, um mich der süßen Beschäftigung, Dir zu schreiben, hinzugeben. Ich bin von den unvorhergesehensten Verlegenheiten und von großem Kummer heimgesucht worden. Ich sagte Dir es in meinem letzten Brief, wie durch Vorgefühl, dass ich vielleicht nach ... gehen würde. Nun denn, es hat wenig daran gefehlt, dass dies nicht gewaltsam eingetroffen wäre ... Aber endlich atme ich wieder, denn diese Angelegenheit hat sich, so gut es gehen wollte, arrangiert; und ich werde noch ferner in Deutschland, dem glücklichen Lande bleiben, wo Treu und Glauben die Grundlagen der Sitten sind, wo eine wahrhaft väterliche Regierung eine sanfte Ruhe über die geselligen Verhältnisse verbreitet. Der Gedanke, dass diese Abreise mich noch weiter von Dir entfernen würde, war meine größte Qual; ich habe also Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um hier bleiben zu können. Ich glaube, dass dem Übel zum wenigsten teilweise abgeholfen ist, und ich überlasse mich von Neuem dem Vergnügen, nur an meine Alma zu denken. Glaube nicht, dass ich mein Interesse durch eine Art von Schwäche oder Unüberlegtheit so hintenan setze; nein, meine Alma, mein Geist ist nicht leichtsinnig; aber diese Liebe, welche Du in meinem Herzen erweckt hast, macht mich gegen die materiellen Vorteile gleichgültig, welche nicht dazu dienen können, mich Dir zu nähern. Du besitzest meine ganze Seele ungeteilt; in Dir habe ich das Wesen gefunden, über das hinaus ich nichts wünschen kann. Ich liebe Dich mit der innigen Überzeugung, dass, auf welche Probe Dich auch das Schicksal stellen könnte, im Innern Deiner Seele stets ein Engel thront, welcher, würde er auch unterdrückt und dem Untergang nahe geführt, sich doch stets erhaben und triumphierend wieder erheben müsste. Mein Bildnis, welches Du zu haben wünschest, wird binnen Kurzem fertig sein und Dir zugesandt werden. Der Marmor oder das Erz passen allein dazu, die Züge des Mannes abzuformen, aber der Zauber der Paletten-Farben eignet sich besser dazu, die lieblichen und zarten Schönheiten einer jungen Frau, die schillernden Reflexe einer Blume und die leuchtenden Tinten eines Himmels darzustellen. Und Du, meine Freundin, vergiss nicht, dass Du mir versprochen hast, unter den zahlreichen Malern in Paris einen Künstler zu wählen, welcher im Stande ist, sich an dem Gefühle des Schönen zu begeistern; (es sind häufig nicht diejenigen von großem Ruf, denen dies immer gelingt). Ein unvergleichlicher Reichtum an Anmut und Reizen ist über Deine ganze Gestalt mit einer Verschwendung, einzig in ihrer Art, und ohne den geringsten Fehler verbreitet; ich bitte Dich inständig darum, vernachlässige meinen Wunsch nicht, damit ein vollkommenes Werk das Bild einer so vollendeten Schönheit der Zukunft erhalte. Wir sind beständig in sehr guten Beziehungen mit E... Ich sehe sie oft, sie nimmt wahren Anteil an mir, und bietet mir, indem sie von Dir mit mir spricht, jene tröstenden Gedanken, von welchen man, so unwahrscheinlich sie auch sind, sich doch gern verblenden lässt, denn man ist stets geneigt, sich mit der Möglichkeit der Dinge, welche man feurig wünscht, zu schmeicheln. Ich fürchte, dass das Vorhaben der ... traurige Folgen für sie nach sich ziehen kann. Das Glück ist ein sehr seltener Gast, aber die Leiden kommen ohne Unterlass, selbst von den Gegenständen, in welchen wir unsere lebhaftesten Freuden zu finden hoffen. Diese Welt bietet meistenteils nur die Wahl der Leiden; die meinigen erscheinen mir wie der brennende Schmelztiegel, worin die Seele sich reinigt, um das Ziel ihrer Bestimmung zu erreichen.