LXII. Liebesbrief
Meine geliebte Alma, glaube nicht, dass eine Freimütigkeit, welche ich wünsche, und die ich hochachte, die Gefühle, welche mich an Dich fesseln, erkalten könnte. Du beschäftigst meine Gedanken in jedem Augenblick, und Dein Glück und Deine Zukunft interessieren mich mehr, als jeder andere Zweck meines Daseins. In diesem Geiste sehe ich mich genötigt, Dir bemerkbar zu machen, dass so lobenswert auch die Grundsätze sind, denen Du Dich weihst, doch in dieser Beziehung in Deinen Opfern eine zu außerordentliche, Dir angeborene Hingebung ist, der Du selbst blind zu gehorchen veranlasst wirft. Liebe Alma, das Übermaß im Guten kann auch gefährlich werden, um so mehr, als Alles ihm schmeichelt, es aufmuntert. Was Du mir von ... sagst, ist nach meiner Ansicht, eine unvorsichtige und ungelegene Handlung; wer weiß, ob man sich nicht mit großer Festigkeit waffnen muss, um in der Folge diesen unverbesserlichen Fehler einigermaßen auszugleichen! Aber das Schicksal führt zuweilen besser, als das Urteil; vielleicht ist dieses selbst nur eine der Formen, unter denen sich die Aussprüche des Geschickes kund geben! Unsere Kenntnisse sind nur Werkzeuge, welche, den Kräften einer glücklichen Anlage anvertraut, schöne und nützliche Resultate hervorbringen, welche aber, im Besitze einer undankbaren Natur, sich bald von ihr vernachlässigt, oder zu bösen Werken angewandt finden. ... Ich leide, die Luft drückt mich, das Blut rinnt kaum in meinem Herzen. Es war nicht genug für das Schicksal, das mich bedrängt, mich in die Hände von Wesen gegeben zu haben, die zu suchen bemüht sind, wie man eine Seele zur Verzweiflung treibt, wie man in einer unaufhörlichen Gemütsbewegung den Verstand erstickt! Das wäre wenig! denn der Gedanke an Alma, ein dem Busen eines Engels entwichener Lichtstrahl, belebte die Kräfte meines Gemüts wieder. Jetzt scheint eine Art von Zwang in Deinen Worten zu herrschen; die Benennungen "lieber und Freund", sind, wenn sie noch darin vorkommen, wie auf ein Grab geworfene Blumen. Ich fühle mich, wenn es sich um Dich handelt, verhängnisvoll hingerissen, mich um den geringsten Anschein zu beunruhigen, und laufe so Gefahr eines Tages selbst die Ursache meines Verderbens zu werden. Erinnerst Du Dich, wie viel Hoffnungen Dein letzter, aus ... geschriebener Brief, für mich enthielt? Ich glaubte fast den Gipfel meiner Wünsche erreicht zu haben; ich erdichtete mir bezaubernde Täuschungen; aber als ich auf eine so unerwartete Weise in Kenntnis gesetzt wurde, dass Deine Beschlüsse in einem anderen Sinne genommen worden wären, konnte ich nicht umhin, zu glauben, dass man auf Dein Herz eingewirkt, und Deinen Willen unterdrückt habe; hierauf zwang ich mich, von dem Übermaß der Freude zu übertriebener Furcht übergehend, Dein Bild aus meinen Herzen zu entfernen, und beschloss, indem ich mich durch eifersüchtige und kummervolle Einflüsterungen verblendete, Dir meine Briefe nicht zu schicken, da mich der Gedanke zurückhielt, dass sie nur dazu dienen würden, dem glänzenden Laufe Deines Glücksrades, durch den Ausdruck eines Gefühls, welches für Dich das Interesse verloren hat, eine schmerzhafte Erschütterung zu verursachen. Ich wagte kaum Deinen Namen auszusprechen, oder meine Augen zu Deinem Bildnisse zu erheben, dessen Lächeln mir das Herz zerriss; ich sah darin nur noch den Ausdruck der Ironie. Ich erfuhr damals, was ich bis dahin für unerklärlich hielt, wie eine heftige Liebe zu den beklagenswertesten Verirrungen hinreißen kann, wenn sie in einem Herzen entsprießt, welches geneigt ist, sich von selbstsüchtigen und grausamen Gefühlen aufregen zu lassen. Alma, ich wünsche diese Leidenschaft zu besiegen, welche das Blut erhitzt und eifersüchtig, unsinnig macht; jene elende Liebe, wie sie unsere Sitten geschaffen haben, jene Art fieberhafter Aufregung, welche das Gehirn angreift. Ach! könnte ich doch nicht nachlassen in meinem Entschluss, Dich mit Ruhe zu lieben, Dich nur mit Freundschaft und nicht mit einer gewöhnlichen Liebe zu lieben ... Deine Stellung ist der Art, das Alles, was Dich betrifft, einem zu großen Widerhall hervorbringt, um nicht mit zahlreichen Abweichungen in die Ferne zu gelangen. Was man mir gesagt hat, ist wahrscheinlich nur eine Lüge, aber warum soll ich Dich darum fragen! Wenn Dir solche vertraulichere Mitteilungen dienen könnten, so würdest Du sie nur von selbst machen; ich muss Dir durch ähnliche Fragen nicht lästig fallen, weil ich Dir nicht zu Hilfe kommen kann. Das Einzige warum ich Dich bitte, ist, dass Du unveränderlich überzeugt bleiben mögest, wie nur der Tod meiner Anhänglichkeit für Dich in meinem Herzen ein Ziel setzen kann, und vergiss nicht, (wenn Du unglücklicher Weise der Unterdrückung ausgesetzt werden solltest) dass Du einen Freund besitzest, welcher bereit ist, sein Blut für Dich gegen die einzusetzen, welche Dir schaden möchten. Lebe wohl, meine angebetete Alma.