XLVIII. Liebesbrief
Ich habe einige Einzelheiten über das Ballet gelesen, welches man für Dich macht. Warum, meine geliebte Freundin, wählst Du nicht einen Stoff, worin Du Dein Talent mehr glänzen lassen kannst? Du bedarfst einer Pantomime, welche die Gefühle schildert, Du, die Du sie mit einer so bewunderungswürdigen Vollkommenheit wiedergeben kannst. Man sollte zur Grundlage eines Balletts die Episode der Esmeralda, einen außerordentlichen dramatischen Stoff nehmen, worin Du alle Nuancen der glühendsten, hingehendsten Liebe, die Angst der Verzweiflung, des Schreckens, der Eifersucht und der fürchterlichen Täuschungen, welche eine unerwiderte Leidenschaft mit sich bringt, darstellen könntest. - Prüfe diese Episode aus Victor Hugo's Roman; - man hat den sonderbaren Einfall gehabt, sie zu einem Opern-Text wählen zu wollen, während sie wie zu einem Ballett gemacht zu sein scheint. Was betrifft, so ist es ein Stoss, welcher Dein Talent nicht im wahren Lichte zeigen wird, weil es nur eine Art komisches Feen-Ballet sein kann. Ohne Zweifel nimmt in Deinen Händen Alles eine anmutige Gestalt an, indessen ist das doch keine Rolle für eine Person, wie Du. - Aber alle diese Theater-Direktoren sehen, verblendet durch das Verlangen, schnell ihr Glück zu machen, nicht, auf welche Weise sie die Künstler, über welche sie zu verfügen haben, wirklich geltend machen können. Sie kümmern sich wenig um die Fortschritte der Kunst, und treffen, wenn sie Etwas in Szene setzen, selten eine geschmackvolle und geschickte Wahl. - Eine Esmeralda, wie Du sie darstellen könntest, wäre ein Muster voll Vollkommenheit, dessen man sich noch nach einem halben Jahrhundert erinnern würde! Ich bestehe darauf, denn ich möchte gern, dass das Weltall Dich bewunderte, wie Du es verdienst, dass es Dich verstände, wie meine Seele Dich versteht; und wenn ich bedenke, dass Du Deine Kunst mit Leidenschaft ausübst, so wende ich meine Gedanken von der Erinnerung ab, dass sie als Gegensatz das Unglück meines Lebens macht, so wünsche ich, dass Du Dich in dem Beifall der Menge berauschen mögest, obgleich er Dich von mir entfernt. Wenn man so denkt, dann nur kann man sagen, dass man liebt. Ich begreife wohl, liebe Alma, wie sehr Du gelitten haben musst, als Du Dich gezwungen sahest, Deine Erfolge für einige Zeit hintenan zu setzen, und auf dem Schmerzenslager für Dich so wichtige Augenblicke in Untätigkeit verstießen zu sehen! Ach, warum kann ich Dir nicht alle Genüsse bieten, welche ein großes Vermögen zu verschaffen vermag, damit die Kunst, welche Du so sehr liebst, für Dich nur ein Vergnügen und nicht ein notwendiger Beruf wäre! Aber das grausame Geschick erlaubt nicht, dass Du die Hoffnung meines Lebens seist, wie Du dessen Stütze bist.