XLV. Liebesbrief
Ich habe Deine geliebte Handschrift wieder gesehen; der Himmel hat Dich dem Leben wieder gegeben, und deine Worte beleben wie durch Bezauberung meine Kräfte wieder, erheben meine Gedanken von der Erniedrigung, worin sie versunken waren. Deine glückliche Konstitution hat über eine große Gefahr triumphiert! Ich will Dir das traurige Bild jener Tage der Angst, in denen jeder Pulsschlag meines Herzens ein Schmerz war, nicht wieder in's Gedächtnis rufen. Alma, ich habe in meinem Leben große Prüfungen überstanden, aber keine hat einen so grausamen und unauslöschlichen Eindruck auf mich gemacht. - Ich fühle dass mein Herz sich nur im Glück der Frömmigkeit öffnet, aber dieses Gefühl verlässt mich im Unglück. Nur diejenigen, welche von einem inbrünstigen Glauben durchdrungen sind, dürfen stets zu dieser Quelle tröstender Gedanken ihre Zuflucht nehmen; ich empfinde bei Schmerzen, welche mir nicht verdient scheinen, in meiner Seele Einflüsterungen des Stolzes. Ich kann mir ein allweises und allmächtiges Wesen welches den Keim des Bösen schafft, und sich die Notwendigkeit zu strafen auferlegt, nicht erklären. Aber warum es wagen, Gott erklären zu wollen? Ist es nicht eine wahrhafte "Menschenanbetung" ihm Gedanken nach Art der unsrigen unterzulegen, und uns in der beschränkten Sphäre unseres Verstandes mit dem Herrn der Unendlichkeit zu vergleichen ! - Jetzt bist Du in der Gesundheit und ich im Glauben wieder hergestellt; was sage ich? sogar in der frommen Andacht. Auf meinen Gütern befindet sich eine Kirche, welche seit langen Jahren unbeendigt ist, ich werde sie ausbauen lassen; ich habe schon Anordnungen dazu getroffen, und sie soll in Deinem Namen geweiht werden. Ich empfehle Dir, meine angebetete Alma, in Deiner Lebensweise mehr dem Instinkt der Natur und Deiner eigenen Beurteilung, als den Vorschriften des Arztes zu folgen. Es ist immer gewagt, ein unbegrenztes Vertrauen in Menschen zu setzen, deren Wohlstand notwendigerweise auf die Anzahl der Leiden oder Fehler Anderer gegründet ist. Die Ärzte gehören in diese Kategorie. Es gibt in dieser Beziehung ohne Zweifel glänzende Ausnahmen, aber dies beeinträchtigt die Wahrheit dieser Regel keineswegs. Versprich mir teure Freundin, von jetzt an vorsichtiger, sorgfältiger für Deine Gesundheit zu wachen. Du kannst Dir die grausamen Gefühle nicht denken, welche ich aus Furcht für Dein Leben empfunden habe? Ich weiß es nicht, aber es scheint mir, als hätten die verborgenen Kräfte meines Daseins, in diesen fürchterlichen Augenblicken die Macht gehabt, bis zu Dir zu dringen, um die Deinigen wieder zu heben, und dass meine Seele, indem sie sich als Opfer darbot, und um Dich zu retten, alle Mächte anrief, welche auf das Schicksal der Menschen einwirken, für unsre Zukunft neue Bedingungen hervorgerufen hätte.