XLIV. Liebesbrief
Mag ich mich noch so sehr zwingen, meinen Schmerz zu verbergen, er macht sich von selbst gewaltsam Luft. Alma, meine Alma, soll ich ein trauriges Verhängnis oder meinen eigenen Irrtum anklagen? Muss man, um in dieser grausamen Welt vorwärts zu kommen, von einer vorbedachten Selbstsucht, durch und durch ein Heuchler, gegen alle Empfindungen des Herzens unverwundbar sein? Ein so organisierter Mensch wäre also ein vom Schicksal begünstigter Sterblicher? Während der, welcher nur von einer reinen und aufrichtigen Zärtlichkeit begeistert ist, welcher nur den Aussichten eines edlen Ehrgeizes Raum gibt, mit dem Stempel der Verwerfung gebrandmarkt wäre! Ihm also die Täuschungen, die kalte Verlassenheit, alle moralischen Torturen. Ich kann meiner verzweifelnden Unruhe nicht widerstehen: wie kommt es, dass ich kein Wort von Dir erhalte? Solltest Du krank sein, oder mich gänzlich aus Deinem Gedächtnis verwischt haben? - Sollte ich Dich in irgend Etwas beleidigt haben? Teure Alma, Du weißt also nicht, wie viel Schmerz Du mir durch eine Zeile, durch ein Wort von Deiner Hand erspart haben würdest? Durfte ich nach den Äußerungen Deines vorletzten Briefes erwarten, dass Du mich mit solcher Gleichgültigkeit behandeln würdest! Ich kann in meinem Gedächtnisse noch so viel suchen, und finde doch nicht das Geringste mir vorzuwerfen, was mir Deine Unzufriedenheit zuziehen könnte; und wenn ich verleumdet worden bin, so gib mir die Gelegenheit mich zu rechtfertigen; wenn Du endlich Dir selbst einige Vorwürfe zu machen hättest, welche es auch fein möchten, weißt Du nicht, dass meine Seele Dich vor Allem in der Welt entschuldigen würde! Denn ich bin überzeugt, dass ein Fehler Alma's nur unwillkürlich sein kann. - Verlängere dieses Stillschweigen nicht. Eine fieberhafte Täuschung hat Dich gestern meinen Blicken in einem Leichentuch dargestellt; meine Lippen waren auf Deine erstarrte Hand gepresst, und meine Seele riss sich gewaltsam vom Leben los, um mit Dir in das Grab zu sinken. Ich fühle mich unter der Gewalt eines abergläubischen Schreckens; die geringste Bewegung macht mich zittern; sobald ich das Geräusch einer Türe höre, so scheint es mir, als müsste man mir einen Brief von Dir bringen. Indem ich so unaufhörlich von der Hoffnung zur Entmutigung übergehe, fühle ich mich immer mehr niedergeschlagen, an Leib und Seele leidend.