XXXVI. Liebesbrief





Meine süße, meine geniale Freundin, der Mut und die Entsagung, auf einen frommen und aufrichtigen Glauben gegründet, bilden die hervorstechenden Eigenschaften Deines Charakters; ich bewundere Dich, und ich möchte Dir nachahmen können; aber meine weniger glückliche Organisation veranlasst in mir eine Vereinigung von Ungleichförmigkeiten und eine außerordentliche Unbeständigkeit, nicht in meinen Urteilen, sondern in den Eindrücken, welche die Ereignisse auf mein Gemüt machen. Mein Herz empört sich häufig bei dem Unglücke, das ihm unverdient scheint, und fühlt sich nur dann fromm begeistert, wenn ihm die Hoffnung lächelt, oder wenn die Freude ihm das Leben süß und leicht macht. Alma, der gewissenhafte und reine Glaube ist eine Gabe der Vorsehung, welche sie eben so selten als die der von aller Selbstsucht freien Liebe, gewährt. Ich habe sie beide durch Deinen wohltätigen Einfluss erhalten; bis dahin fand meine Seele nirgends Stütze noch Trost. Nur eine fanatische oder heuchlerische Tyrannei kann die Liebe oder den Glauben erzwungen verlangen. Gott allein ist der Verteiler derselben. Gesegnet seien die Werkzeuge, die er zu diesem Ende anwendet, wären sie auch schmerzhaft und bitter! Aber Alma ist's, das edelste der irdischen Wesen, welche für mich der kostbare Hebel zu diesen beiden Gefühlen war, von denen das letztere, wenn es durch Werke in's Leben tritt, zur Krone des menschlichen Lebens wird. Ich habe mit Zufriedenheit und einer sehr angenehmen Überraschung die Nachricht von Deiner Reise in England gelesen. Ich bewundere Dein Genie, welches nur die Richtung gehabt hat, Dir körperliche Anmut zu erwerben, und von selbst, ohne alle Unterstützung, einen lichtvollen Überblick von Gegenständen erlangt hat, welchen die Menschen sonst mühsame Studien widmen. Die imposanten Bilder einer großartigen Natur und die wunderbaren Resultate des Kunstfleißes, von einer weisen Freiheit erhöht, von mächtigen Gewährleistungen des Eigentums aufgemuntert, haben Dir abwechselnd dichterische und ernsthafte Gedanken eingeflößt; die Schilderung, die Du davon machst, trägt das Gepräge eines von allen Ansprüchen freien Geistes. Ja, meine Freundin, die englische Nation zeichnet sich durch die instinktmäßige Liebe der Ordnung, und der Sorgfalt, welche sie erheischt, aus. Sie ist einer der vorzüglichsten Hebel, nicht allein ihres Reichtums und ihrer Macht, sondern auch ihrer Moralität. Kein anderes Volk versteht es wie die Engländer den Wohlstand in Anwendung zu bringen, und durch genaue, auf Berechnung gestützte Erfahrungen zum Nützlichen zu gelangen. Sie allein haben die ganze Wichtigkeit der Erfindungen verstanden, welche die Arbeit ersparen und den Verkehr erleichtern. Was die Leiden der ärmeren Klassen betrifft, so bestehen die Quellen dieses Übels nicht weniger in dem Abfluss des öffentlichen Vermögens zu Gunsten des Stolzes, der Selbstsucht und der Prahlerei, als in der beschützten Unvorsichtigkeit im Heiraten. Mein guter Engel, Du versuchst meine Gedanken von den Schmerzen der Liebe, welche sie ausschließlich beschäftigen, weit abzuziehen. Ich zolle den Absichten, welche Deinen Verstand leiten, Gerechtigkeit; ich möchte Dir gehorchen, aber ich leide zu sehr, um die Kraft zu haben, Deine Ratschläge zu benutzen ...