XLI. Liebesbrief
Ich habe, mein geliebter Engel, die Flugschrift gelesen, welche Du mir geschickt hast, und ich sehe darin dasselbe System, welches die Kritiker seit einiger Zeit angenommen haben, Dich auf eine für Dich nachtheilige Art mit Fräulein ... zu vergleichen. Hier sind die hauptsächlichsten Äußerungen dieser Flugschrift, welche Du nicht bemerkt hast, denn Du hast diese Rezension vielleicht mit zu viel Gleichgültigkeit betrachtet, obgleich sie es in der Tat nicht verdient, sich damit zu beschäftigen, Dir aber doch schaden kann, denn es ist gerade der Unsinn, welcher den meisten Widerhall in der Welt findet. So möchten gemeine Seelen, da sie sich nicht zu dem Wesen erheben können, dessen Überlegenheit sie verdunkelt, es auf ihren armseligen Maßstab reduzieren, oder sie ziehen es lieber vor, ihre Huldigungen der Mittelmäßigkeit darzubringen. Aber der wahrhaft ehrenvolle Beifall gehört Dir ganz; einige Zeilen des Fürsten P... (in seinen Reisen durch Frankreich) enthalten mehr wahres, meiner Alma würdiges Lob, als alle Rhapsodien dieser vorgeblichen schönen Geister. Fahre fort, sie zu beschämen, indem Du durch Dein wahres Verdienst und Dein Genie triumphierst. Meine Betrachtungen über diesen Gegenstand können Dir ungeschickt erscheinen, aber sie sind gewiss gut gemeint, und gerade dadurch vielleicht richtiger, als diejenigen von Personen, welche in dieser Beziehung genaue Kenntnisse, aber nicht dieselbe uneigennützige Gesinnung, dasselbe Verlangen haben, dass Du in allen Dingen so glücklich und bewundert sein möchtest, als Du es verdienst. Du wirst, ungeduldig erwartet, glänzender als jemals, in der Oper zu Paris wieder auftreten, wo Du einerseits viel Teilnahme, andrerseits viel Eifersucht und Eigennutz in Bewegung setzest. Die Natur hat Dich mit außerordentlichen Mitteln begabt, verbunden mit jener Einfachheit und aufrichtigen Bescheidenheit, die den edlen Seelen angeboren ist. Aber man verkennt Deinen liebenswürdigen Charakter; man hält Deine Güte für Schwäche, und missbraucht sie. Der Direktor der Pariser Oper hat wahrscheinlich in Dir eine Art Opposition gegen Fräulein ... aufstellen und personifizieren wollen; auf diese Weise bot er der Neugierde des Publikums den Reiz eines pikanten Kontrastes, und führte die Aufmerksamkeit auf Deine Nebenbuhlerin zurück. Die Lobredner dieser Künstlerin ergriffen eifrig die Gelegenheit, ihr durch einen Trugschluss eine Überlegenheit des Talents über Dich zuzuschreiben, weil sie ein Genre von imposanterem Charakter gewählt, welches einen dauernderen Zulauf hat, denn es wird hauptsächlich von Leuten unterstützt, die auf eine affektierte Sentimentalität Anspruch machen, und es ihrer Würde angemessen halten, eine übertriebene Vorliebe für das an den Tag zu legen, was man "das Keusche" des Tanzens des Fräuleins ... nennt. Die Urteile dieser Partei haben erklärt dass ... "das Urbild der überirdischen Grazie" und Alma das der "materiellen Schönheit" ist; dass die eine die Schöpfungen der "Engel, und die andere die schwindelnden Zauber einer Alcine" vertritt. Bei dieser eben so falschen als ungerechten Teilung bist Du gewaltsam an einen untergeordneten Platz gestellt. Beweise ihnen, meine Alma, dass sie sich irren; versuche es, eine Rolle zu schaffen, worin Du die ganze Ausdehnung Deines genialen Talents entwickeln, und Du, so edel, so vollkommen, glühende, aber eben so erhabene als edle Gefühle ausdrücken kannst; und dann wird man anzuerkennen gezwungen sein, dass Du in Allem vortrefflich bist, was Du unternehmen willst. Ein einziges Blatt hat schon mehrere Male diesen Gedanken angeregt; ich hoffe, dass es zu Deinem Vorteile fortfahren wird, in diesem Sinn zu schreiben. Du hast, liebe Freundin, die Menschen, unter denen Du zu leben gezwungen bist, gut charakterisiert; "sie haben, sagst Du mir, nur Liebe zu sich selbst." - Ja, so sind sie, vorzüglich jetzt. Ich habe es Dir geschrieben, als Du zum ersten Male nach Paris gingst; ich zitterte davor, dass Du das Opfer ihrer Selbstsucht werden wurdest, und ich kann es nur einem Wunder zuschreiben, dass Du ihr entschlüpft bist.