XXXVIII. Liebesbrief
Du drückst Dich, meine Alma, auf eine schmeichelhafte Weise über mich aus, indem Du meinen Ansichten Nichtigkeit einräumst. Der Geist der Ordnung und die Liebe zur Wahrheit, scheinen in der Tat die Haupt-Triebfedern meines Verstandes zu sein; aber ich stehe so sehr unter der Herrschaft des Verhängnisses und der Leidenschaften, (welche wahrscheinlich auch ihre Quelle darin haben), dass die Richtigkeit meiner Begriffe mir nur wenig Lebensklugheit und Glück gewähren. Das Land, worin ich geboren bin, und worin ich mich durch das Gefühl meiner Seele, wie ein Verbannter befinde, die von mir unabhängigen Umstände, welche mich von allen Seiten absperren, die Menschen, mit denen ich leben muss, endlich jene Unersättlichkeit der Gedanken, jene ungemeine Furcht zu missfallen, welche Du an mir kennst, üben eine so unwiderstehliche Einwirkung auf mich aus, und lahmen meine Mittel und meine Vorsätze dergestalt, dass mein Leben ein beständiger Kampf ist, worin meistenteils mein Willen unterliegt; so dient mir, fast immer mit mir und Andern unzufrieden, mein Verstand nur dazu, das Elend des Daseins zu lebhaft zu fühlen. Du allein, meine geliebte Alma, entsprichst durch Deine göttlichen Vollkommenheiten gänzlich den zu ehrgeizigen Ansprüchen meines Herzens und meiner Einbildungskraft. Ich erkenne in Dir das bezaubernde Urbild des Liebenswürdigsten und Erhabensten in der Natur des Weibes. Du bist das, was sie in der Folge von Jahrhunderten sein könnten, wenn das Fortschreiten der Zivilisation einst die erniedrigenden Schranken brechen wird, welche sie jetzt in den Windeln einer verlängerten Kindheit, oder in den Ketten der unerträglichsten Sklaverei halten. Ja, meine Alma, in der Natur des Weibes liegt das intellektuelle Element des menschlichen Geschlechts vorzugsweise; bei dem Manne aber herrscht der materielle Stoff vor. Durch die physische Kraft und den Mut des Blutes hat er in den barbarischen Zeiten regiert, und die Abhängigkeit des schwachen Geschöpfs, dessen Eigentümer und unerlässlicher Beschützer er zu gleicher Zeit wurde, als Grundsatz aufgestellt. Er hat die Religion, die Gesetze, die Sitte, die Erziehung zusammen wirken lassen, um seine Ursupation zu heiligen, und ihr den Stempel einer ewigen Dauer aufzudrücken. Diese allgemeine Tatsache stellt sich unter weniger rauen Formen bei den am wenigsten organisierten, der Vervollkommnung noch fähigsten Menschen-Rasen heraus, wo das Weib, weniger drückenden Banden unterworfen, Eigenschaften des Verstandes entwickeln konnte, welche von der List der Sklaverei weit verschieden waren. Es übte dort eine wohltuende Tätigkeit auf den geselligen Verband aus, um die tierischen Begierden des Mannes zu besänftigen. Hochherzige Handlungen, Mut der Seele, erhabene Ergebung, aufrichtige Frömmigkeit, reine Liebe waren die Beispiele, welche Frauen gaben; mit moralischer Kraft versehen, rissen sie die aufrührerischten Herzen zu heiligen Wahrheiten hin, und ungeachtet der Schranken, welche ihrer Belehrung gesetzt wurden, gelangten sie häufig dahin, sich durch den Aufschwung ihrer Gedanken in allen Kenntnissen auszuzeichnen, deren Monopol sich der Mann zuschreibt, und wussten mit Ruhm die ausgezeichnetsten Stellungen zu behaupten. Die Völker bei welchen dieses Geschlecht in Sklaverei gehalten wird, sind stehen geblieben oder ausgeartet, und in dem Maße des Grades von Freiheit, dessen die Frauen genießen, sind die Nationen mehr oder weniger auf dem Wege einer wahrhaften Zivilisation, welche in den gleichzeitigen Fortschritten der Milde der Sitten und des Kunstfleißes besteht. Indessen sind selbst die fortgeschrittensten Völker Europas erst zu einer Halb-Zivilisation gelangt; die Frau bleibt bei ihnen einer Vormundschaft ohne Ende und einer Erziehung unterworfen, welche sich auf den Begriff der vorgeblichen geistigen Unterordnung dieses Geschlechts gründet; man beschränkt den Zweck ihres Lebens auf einen zu begrenzten Horizont, und legt ihr eine nichtige Heuchelei als eine Notwendigkeit ihrer Stellung auf; ein trauriges System, welches, auf die Individuen des starken Geschlechts angewandt, dasselbe in kurzer Zeit ganz entartet machen würde. Sollte man nicht daraus, dass das Weib seit Jahrhunderten solchen traurigen Einflüssen widerstanden hat, schließen können, dass in der menschlichen Natur die Intensität der geistigen und moralischen Kräfte im umgekehrten Verhältnis zu der Muskelkraft steht! Übrigens ist diese letztere durch die mächtigen Ergebnisse der Kräfte entthront, welche die Wissenschaft aus den toten Elementen zu ziehen gewusst hat; so sind also auch in dieser Beziehung der Schutz und die Verteidigung, welche der Mann dem Weibe als Entschädigung für die Dienstbarkeit gewährte, der er sie weihte, Unsinn geworden, wenn eine Sack, Pistole zum Kampfe besser tauglich ist, als die Keule des Herkules. Woher kommt es, dass in diesem Zeitalter der gesellschaftlichen Wiedergeburt, in dem alle Institutionen, welche Verletzungen des Mannes gegen den Mann gestatteten, so ernsthaft gemildert oder verändert worden sind, diejenigen in Bezug auf die Frauen allein unverändert bleiben, indem sie den Egoismus und die Lüge heiligen? Durch welchen unerklärlichen Trugschluss hält man da selbst, wo man den Frauen das Recht einräumt, die königliche Macht auszuüben (ein Beruf, dem wie die Geschichte beweist, sie besser vorstehen, als die Männer) sie für unwürdig, an der Abfassung der Gesetze, die man ihnen auferlegt, mitzuarbeiten. Gewisse Sektierer, welche in den letzten Jahren diese Ungerechtigkeit laut anzuerkennen geschienen, hatten ihre Sendung missverstanden, und dadurch ihren Zweck verfehlt; sie haben Gleichheit der Gesetze für Männer und Frauen verlangt, was nur dazu gedient haben würde, diese letzteren in der Stellung welche sie schon eingenommen haben, in Verfall geraten zu lassen; es muss eine Teilung der Macht, aber nicht eine assimilierende Gleichstellung der beiden Geschlechter stattfinden; ein jedes muss in der Sphäre seiner Fähigkeiten handeln; deshalb gebührt überall, wo eine heftige Äußerung der physischen Kraft in's Spiel kommt, ein von dem Ehrgeize beherrschtes Gefühl, eine strenge Berechnung, eine große Ausdauer des untersuchenden und entdeckenden Geistes, dem Manne der Platz; während bei den Geschäften, wo es nötig ist, anmutige Formen zu entwickeln, einen Geist um schnell die Wahrheit zu erfassen und die Gerechtigkeit zu erkennen, ein zur sanften Duldung, zur reinen Ergebung geneigtes Herz, das schöne Geschlecht das Vorrecht genießen muss. Die moralischen Gesinnungen, welche bei den Frauen so energisch sind, die Religion, die Liebe, die Ehre, diese erhabenen Lichter scheinen in unsern Tagen in dem Manne nach und nach zu erlöschen, der sich in blutigen Umwälzungen abkämpft, um etwas Besseres zu suchen, wovon er ein Vorgefühl hat, was er aber nicht erreichen kann. Zu einer Höhe gelangt, wo seine schwankende Vernunft schwindelig wird, dreht er sich in einem mangelhaften Kreise sophistischer Gedanken, denn die Impulse eines engherzigen Egoismus knebeln seinen Verstand; vergebens behaupten getäuschte Gemüter, aus dem Schlamme eines verderbten Pöbels eine neue Kraft zu ziehen, welche unter einer anderen Gestalt die Keime edler Impulse wieder beleben würde. Es erheben sich daraus nur schädliche Dünste, welche allein dazu dienen, den Aufschwung glücklich begabter, in ausnahmsweisen Verhältnissen befindlicher, den zu tierischen Elementen und dringenden Notwendigkeiten, welche das Erbteil des großen Haufens sind, unzugänglicher Seelen zu verlöschen. Die Demokratie, über diesen Punkt mit dem Despotismus einverstanden, bezweckt, mit diesem vereint, die Geister gleich zu machen, was nur eine allgemeine Erniedrigung herbeiführen kann; aber wenn der wahre Fortschritt des Menschengeschlechts in den Absichten der Vorsehung liegt, so wird er auf den Verstand der Frauen sein Reich bauen. Zu dem Ende muss das Genie dieses Geschlechts aufhören sich den Vorurteilen, welche es unterdrücken, verderben und von einem wichtigen Teile seines Berufs abhalten, träge zu unterwerfen; das Band des Ehestandes muss für das Weib nicht das Ziel ihres Daseins, sondern eine seiner Formen sein; es muss sich auf die Grundsätze der Gerechtigkeit, Rechtschaffenheit, auf die Heiligkeit des gegebenen Worts, dessen Klauseln eine weise Gegenseitigkeit verbürgen, gründen, statt eine unzerbrechliche Kette zu sein! Endlich müssen die Reinheit und Bescheidenheit der Sitten, unter beiden Geschlechtern auf gleiche Weise geehrt, und der Missbrauch, das Laster auf gleiche Weise verworfen werden. Nur dadurch würde eine höhere gesellige Ordnung entstehen, als diejenige, welche sich jetzt auf blinde Selbstsucht, auf gotteslästerlichen Betrug, dem heuchlerischen Erschaffer roher Hirngespinste, womit man den Geist der Frauen schreckt, gründet; und nur dann würde man die ergiebigsten Quellen der moralischen Verderbtheit und der Entartung des Menschengeschlechts ausgetrocknet haben. O! meine edle und süße Freundin, Du einziger Inbegriff der himmlischen Vollkommenheiten, Du hast mir diese Wünsche für Dein Geschlecht und für die Welt eingeflößt; wenn ich aber bedenke, wie wenig Dir die anderen Frauen gleichen, wie sie von Eitelkeit, Frivolität und erniedrigenden Absichten verblendet sind, und sich selbst in dem mit Blumen geschmückten, mit Flittergold bunt ausgeputztem Joche gefallen, dann verzweifele ich an die Zukunft. Lebe wohl Engel, süßes Licht meines Lebens!