XXXIV. Liebesbrief
Meine geliebte Alma, ich habe durch die Zeitungen den Enthusiasmus erfahren, welchen in B... Dein Tanz und Spiel in den Balleten ... erregt haben! In der ersten dieser Rollen hat Dein Talent die Herzen tief ergreifen müssen, während Du in der zweiten, worin Du zum Entzücken fröhlich und niedlich bist, die Einbildungskraft unwiderstehlich hinreißest. Meinem Gedächtnisse ist das allerliebste Kostüm einer schweizerischen Schäferin gegenwärtig, welches Deinem reizenden Wüchse und Deinen anmutigen Formen so gut steht. Es ist ärgerlich, dass ein lächerliches Vorurteil nicht den jungen Frauen aller Stände erlaubt, diese so vorteilhafte Kleidung anzunehmen, und ihnen glauben macht, dass es ungemein schicklich sei, die Arme und Schultern (so schlecht sie auch geformt sein mögen) zu entblößen, während man sich sorgfältig hüten müsse, ein wohlgebautes Bein, mit einem eleganten Strumpfe bekleidet, sehen zu lassen. Die Moden, so veränderlich in der Toilette der Frauen, werden, anstatt das Resultat eines geübten oder vervollkommnten Geschmacks zu sein, nur von der Phantasie oder dem Interesse einiger einflussreichen Personen geleitet; so legen sie ihnen denn auch größtenteils nur eitle Sorgen auf, weit entfernt, die natürlichen Reize einer Frau zu erhöhen: vielleicht ist es gerade dieser letzte Beweggrund, weshalb sie geduldet und sogar aufgemuntert werden. Du allein, meine Alma, die Du in allen Dingen mit einem vollkommenen Takte begabt bist, Du weißt den Eigensinn der Mode unter Deinem ausgezeichneten Geschmack zu beugen. Das Blatt, welches Du mir geschickt hast, verdient Deinen gerechten Tadel; solche Huldigungen konnten Dir nur anstößig sein. Der Zeitungsschreiber von B... bewundert Dich nach Art der Kaufleute, und glaubt Deine poetischen Schönheiten, Dein unvergleichliches Talent zu würdigen, indem er sie mit Gold und Diamanten in die Waagschale legt. Das ist so die Begeisterung eines Maklers, welcher Deine Reize zu erhöhen glaubt, indem er so zu sagen, Deine Person den Meistbietenden anträgt, und dadurch das, was mehr als Talent und Schönheit ist, Deine Frauenwürde herabsetzt. Wenn man indessen das, was gewöhnlich im menschlichen Leben vorgeht, ohne Vorurteil untersucht, so wird man einzugestehen genötigt sein, dass dort auch, und mehr noch als auf dem Theater, die Schönheit vorzugsweise dem Vermögen anheim fällt. Nicht nur in der Türkei werden die Frauen verkauft; bei uns ist nur der Unterschied, dass sie freiwillig auf den Markt laufen, wo die Eltern um Käufer nachfragen. So muss, aus diesem Gesichtspunkte der Journalist von B... in Deinen Augen Entschuldigung finden. Ich begreife wohl, wie die Stellung einer großen Künstlerin, so anziehend sie auch sein mag, manche Unannehmlichkeiten hat, welche für Charaktere Deines Schlages besonders empfindlich sind: den Kabalen und Launen eines Publikums ausgesetzt sein, den übertriebenen Ansprüchen, den Verleumdungen, womit man ungestraft überhäuft wird, und von den Theater-Direktoren abhängen, welche den Künstler wie eine Ware behandeln, aus der sie auf die ihnen vorteilhafteste Weise Nutzen ziehen wollen. Wird sich meine gute und sanfte Alma zu dem hinreißen lassen, was sie im eigenen Interesse ohne Rücksicht auf ihre Stellung verlangen, wird sie darin willigen, solche gewagte Rollen zu übernehmen, welche gegenwärtig an der Tagesordnung sind? Der Beifall welchen Dein Genie Dir in jeder Gattung erworben hätte, würde Dir in dieser mit um so größerer Stärke folgen, als die populäre Trunkenheit alle Grenzen übersteigen müsste; aber Du bist für würdigere Triumphe bestimmt! Erinnerst Du Dich der Worte aus einem der an G... gerichteten Briefe der Frau von V... "Alma hat wie die Venus nicht nötig, gänzlich den Wellen zu entsteigen, um zu gefallen." Lasse Dein liebliches Talent nicht durch das jetzt so abgestumpfte französische Publikum verderben; versuche Dein gutes Herz der Wienerin zu erhalten, und die vorsichtige Klugheit einer Pariserin damit zu verbinden. Wenn Du Dein Talent in Rollen verschwendest, die Deiner wenig würdig sind, so würde das Publikum, welches anfangs eine freiwillige Unterwerfung unter ihre Ansprüche wütend beklatschte, sich bald herausnehmen, Dir diese Unterwerfung als eine Pflicht aufzuerlegen. Du willst, dass ich Dir ganz meine Ansicht sage. Ich habe Dir gehorcht und ohne Umschweif gesprochen, wie zu einer aufrichtig geliebten Freundin. Lebe wohl, angebeteter Engel, süßes und edles Wesen! Gott beschütze Dich, herrlicher Gegenstand meiner Wünsche.