XXIV. Liebesbrief
Meine Alma, Dein Brief enthält eben so strenge als entmutigende Worte: Das Glück für Menschen von glühender Einbildungskraft ist, sagst du mir, das Verlangen, welches weder von der absoluten Gewissheit, noch von der gänzlichen Unmöglichkeit begleitet ist, das vollständig zu besitzen, wonach sie geizen; Du fügst mit entsagender Vergessenheit Deiner Vorzüge hinzu, dass der Reiz der Gegenstände in ihnen nur als ein Stoff vorhanden ist, mehr oder minder geschickt, auf die schaffende Einbildungskraft Eindruck zu machen, welche erhabene Werke gebiert, wenn sie sich mit edlen, anmutigen und sanften Leidenschaften begeistert. Geliebte Alma; wenn dem so wäre, so ist es der Funke eines aus Deiner Seele ergossenen göttlichen Feuers, welcher in der meinigen einen Herd der reinsten Gedanken entzündet hätte. Ach! warum kann ich mich ihnen nicht allein hingeben, und diejenigen Bewegungen unterdrücken, welche sie zu Besorgnissen hinreißen, die einer wahren Freundschaft nicht würdig sind! Mutlosigkeit hat sich meines Herzens bemächtigt; ich kann schmerzliche Bilder die mich bestürmen nicht entfernen, ich schaffe mir eine Menge Schmerzen, die notwendigen Folgen einer unglücklichen Neigung. Alle meine süßen Täuschungen verlassen mich. Ich sehe klar, dass wenn ich zu Dir von Freundschaft spreche, ich in der Tat von Liebe, und von der leidenschaftlichsten Liebe beherrscht werde. Die Freundschaft ist ruhig, sie übertreibt nicht, noch erschrickt sie über ein Wort, einen Blick des geliebten Gegenstandes; sie ist vertrauensvoll und der Erwiderung gewiss; sie ist nicht anspruchsvoll, fürchtet die Nebenbuhlerschaft Anderer nicht; während mir das geringste Deiner Worte oder Schritte den Himmel oder die Hölle bringt; wenn Du mir ein wenig Hoffnung des Glücks bietest, wage ich es nicht Dir zu glauben, und wenn Du kalt zu mir sprichst, so bilde ich mir ein, dass ich Dir mehr als gleichgültig geworden bin; der Gedanke, dass Du einem Anderen angehören könntest, versetzt mich in schreckliche Verzweiflung. Ich, der ich nie eifersüchtig war, der ich glaubte, dass dieses demütigende Gefühl keine Gewalt über mein Herz hätte, ich bin es auf die kleinste Deiner Bewegungen; Deine Schönheit, Deine Talente, die Milde Deines Charakters, ich bete sie an und bin zugleich untröstlich darüber, denn diese Eigenschaften ziehen ja alle Augen auf Dich, und geben mir tausend Nebenbuhler. Diese Leidenschaft, dieser heftige Wahnsinn, worin die Sinne den Gedanken beherrschen, ich kann sie nicht überwinden; bei dem Gedanken dass Du mir entrissen würdest, verlassen mich die edelsten Kräfte der Seele, und ich fühle dass ich Alles verloren habe, wenn ich Dich verliere. Und was kümmern mich die Hoffnungen, womit man uns auf eine andere Welt hinweisend, schmeichelt, wenn ich dort Alma nicht besitzen kann, wie sie hier ist! Gott sieht, dass mein Herz bei diesem Gedanken eben so rein ist, als das Herz des Menschen sein kann. Lebe wohl, meine Alma; meine Vielgeliebte; ich kann recht gut folgende Worte des Dichters auf mich anwenden:
Weh dem, vor dessen Blick - stets unvergessen - weilt
Ein lieblich' Zauberbild, dann schnell vorübereilt,
Das meteorgleich taucht in Himmelsglanz die Seele,
Ob spätern Lebens Rest farblose Nacht verhehle!