XXIII. Liebesbrief





Teure Alma, das was man Dir über meine Beziehungen mit L... G... gesagt hat, ist irrig. Ich will Dir die Tatsachen erzählen, wie sie sich zugetragen haben. Als ich von einer Badereise nach ... zurückkehrte, hielt ich mich in ..., einer durch den leidenschaftlich-musikalischen Geschmack ihrer Einwohner berühmten Stadt auf. Man gab an diesem Abend eine Oper! Ganz allein in einer großen und finstern Loge, war ich in Gedanken versunken, als eine Tür, welche sich mir gegenüber öffnete, einen Lichtstrahl in diesen dunkeln Ort fallen ließ, ich meine Blicke, ganz mit Dir beschäftigt, dahin lichtete und Dich eintreten zu sehen glaubte; die beinahe vollständige Gewissheit, dass Du damals weit von diesem Orte warst, zerstörte augenblicklich diese süße Täuschung, aber es verblieb mir eine andere, welcher das unbestimmte Licht der Lampen, die kaum leuchteten, Vorschub tat; ich fand Ähnlichkeit mit Dir in den Zügen, das sanfte Lächeln, der schlanke Wuchs und die Haltung der anmutigen Erscheinung, welche sich meinen Augen darbot. Ich zog mich in die Tiefe meiner Loge zurück, und das Augenglas auf meine schöne Unbekannte geheftet, gab ich nicht auf das Schauspiel Acht. Da in kleinen Städten die Theater-Beamten die Personen ihres Publikums sehr genau kennen, so bedürfte es Nichts weiter, als bei der Logenschließerin Erkundigungen einzuziehen, um nicht nur den Namen, sondern auch die Lebensgeschichte derjenigen zu erfahren, die mich interessierte. L... G... war ein junges Mädchen als sie zuerst als Sängerin auftrat, einen Beruf, welchen sie in Folge des kürzlichen Bankrotts ihres Vaters, eines Kaufmannes dieser Stadt, ergreifen musste; und von da ab wurde ihr Talent die Stütze ihrer Familie. Man hatte auf den andern Tag eine Oper angesetzt, worin sie singen sollte: ich hatte mir anfangs vorgenommen während der Hitze des Tages in ... zu bleiben, aber dieser Vorfall veranlasste mich, meinen Entschluss zu ändern, und ich erwartete gespannt den Augenblick, wo ich auf der Bühne eine Künstlerin sehen sollte, welche wie ich glaubte, ein Bild meiner geliebten Alma, wenn auch nur schwach, wiedergeben würde. Ich war einer der ersten im Theater, und dort durchmaß ich in meiner Ungeduld dessen Zugänge, den Vorsaal und meine einsame Loge mit großen Schritten. Endlich ließ sich der erste Bogenstrich hören, und nachdem die Ouvertüre beendigt war, wurde ihre Wiederholung verlangt, als geschähe es vorsätzlich, um mich zu quälen; ich musste noch einige Szenen aushalten, ehe L... G... erschien; - Sie war schön, anmutig, sang mit Talent, spielte mit Seele und einem tiefen Verständnis der Verhältnisse, welche sie wiedergeben sollte; keine Ziererei in ihrer Haltung, eine Art des Auftretens, als habe sie große Meister lange beobachtet und studiert, ein gewisser Beweis der Begeisterung des Genies, denn sie hat nie ihren Geburtsort verlassen. Alles dies hat mir eine hohe Meinung von ihr gegeben, welcher sie seitdem in keiner Beziehung widersprochen hat; zugleich habe ich auch gesehen, dass meine Einbildungskraft allein ihr Ähnlichkeit mit Dir verliehen hat: - es ist eine sehr hübsche Person, aber die Reize Alma's sind einzig auf der Erde. Hier endigt sich die romantische Episode, und nun erfahre auch, was daraus folgte. Ich hatte Gelegenheit, von L... G... mit einigen Personen von Einfluss in M... zu sprechen; zu sagen, wie würdig sie wäre auf einer größeren Bühne zu erscheinen; aber ihr Verdienst allein brachte sie dahin; sie hat ein vorteilhaftes Engagement am Theaters zu ... erhalten, und da sie volle Häuser machte, so missbrauchte der Direktor ihre gefällige Unerfahrenheit, und strengte, durch fortgesetzte Vorstellungen eine noch zu junge Stimme übermäßig an. Ein Jahr unausgesetzter Arbeit, der sie mit Enthusiasmus oblag, hat die Kraft ihrer Brust gefährdet; sie musste daher einer Kunst entsagen, die sie leidenschaftlich liebte, oder in milderen Klima Gesundheit suchen; als ein junger, wie man sagt sehr reicher Mann, von rechtlichem und liebenswürdigem Charakter ihr seine Hand antrug; sie schwankte einige Zeit, willigte dann ein, begab sich in das Noviziat zu ihrer neuen Familie, und würde (nach der gewöhnlichen Annahme des Worts) glücklich werden, wenn ihre erhabene und wahrhaft künstlerische Seele sich nicht in der erstickenden Atmosphäre der Aufmerksamkeiten lind der lästigen Schicklichkeiten, denen ihre neue Stellung sie unterwirft, gedrückt fühlen wird. Ich habe sie seitdem ein einziges Mal gesehen; sie leidet an den Schmerzen, welche gemeine Seelen weder empfinden, noch verstehen können. Mein Verhältnis zur L... G... war wirklich nur das der Achtung, welches ich ihr auch stets bewahren werde. Übrigens kennst Du ja meine Vorurteile in Bezug auf verheiratete Künstlerinnen. Zur Stütze meiner Denkungsart hierüber muss ich Dir sagen, dass die indischen Brammen, welche durch Überlieferung noch etwas von der alten gesunden Vernunft aufbewahrt haben, nur diejenigen unter ihren Bayaderen verheiraten, welche sie von den Tempeln ausschließen wollen, die ehemals die einzigen Theater waren, wo man mit Pomp imposante Schauspiele gab, welche den Zweck hatten den glühendsten Enthusiasmus in den Zuschauern zu erwecken. Es scheint dass die theatralische Kunst, zu der größten Höhe gelangt, welche sie unter den gegenwärtigen Bedingungen der Gesellschaft erreichen konnte, zu sinken anfängt; diese Rückschritte treffen hauptsächlich einige ihrer Zweige; das Trauerspiel und das höhere Lustspiel sind vollständig im Verfall; die Oper hat ihre letzten Hilfsmittel erschöpft; Du Alma bist das Urbild der mimischen Tänzerin; man wird dich nie ersetzen können. Erst wenn das Weltall von seinen jetzt noch nötigen Schranken befreit sein wird, die aber schon untergraben, mit dem allgemeinen Fortschreiten der Vernunft fallen müssen, erst dann wird das Ganze freier in seinem Aufschwünge, sich neue Wege eröffnen, um zu Begriffen einer höheren Ordnung zu gelangen; aber ehe dies geschieht, wird eine Zeit des Stillstands stattfinden; Jahrhunderte vergehen vielleicht in vergeblichen Anstrengungen, in unfruchtbaren Nachahmungen.