XVIII. Liebesbrief





Geliebte Alma, wenn ich mir folgte, so würde ich Dir jeden Tag schreiben; aber oft werfe ich meine Briefe in's Feuer, nachdem ich sie schon beendet habe; irgend ein wohlwollender Salamander wird es übernehmen Dir während Deines Schlummers deren Inhalt zu überbringen. Heute aber lasse ich mich ganz einfach auf die Post gehen und ihr den gegenwärtigen anvertrauen. - Ich muss mich eines Vorwurfs beschuldigen, den ich mir zu machen habe; - Die Leidenschaft macht oft ungerecht; ich tat Unrecht der E... Gedanken unterzulegen, die sie wahrscheinlich nicht gehabt hat; denn welche Absichten hätten sie ihr eingeben sollen? Es ist von meiner Seite eine Inkonsequenz, dass ich es mir eingebildet habe! Wenn ich das Innerste meiner Gedanken erforsche, so entdecke ich immer mehr und mehr, wie tief ich unter Dir stehe; ich habe Dich nie von irgend Jemand übel reden hören, selbst nicht von Deinen offenbaren Feinden, und ich vermute gleich etwas Böses, ohne hinreichenden Grund. Deine zwei letzten Briefe haben mir gänzlich enthüllt, welche göttliche Seele Du besitzest, sie haben mir das erklärt, was ich an Deinem anbetungswürdigen Charakter noch nicht begreifen konnte. Alma, Du besitzest alle wirklichen Tugenden, alle diejenigen, welche das Glück solcher Menschen machen, und ihre Achtung verdienen, die in ihrer Gesinnung den Grundsätzen der gesunden Vernunft folgen. Eine unvergleichliche Güte, verbunden mit gerechter Klugheit, mit Tätigkeit, Muth, durch das Genie und einen ausgesuchten Geschmack erhöht, machen aus Dir das edelste Geschöpf, die liebenswürdigste der Frauen, und wenn Du selbst nicht so schön, so entzückend durch Deine Reize und Talente wärest, so würde ich Dich doch jeder Anderen auf der Welt vorziehen. Wie gern möchte ich Dich, meine Vielgeliebte, in meinem Herzen lesen lassen! ich wünsche es mehr vielleicht, als in dem Deinigen zu lesen, denn ich kenne Dich und möchte Dich nicht anders kennen; aber ich, ich habe niemals Gelegenheit gehabt, Dir Beweise von meinen Gefühlen zu geben. Vielleicht bin ich verurteilt Dich nicht wieder zu sehen, aber was auch mein Schicksal sein mag, so bist Du stets das geliebte Ziel meiner Wünsche und wirst es immer bleiben. Rede immer zu mir, meine Vielgeliebte, mit vollkommener Freimütigkeit; die Wahrheit, so schmerzlich sie auch sein könnte, wird mir aus Deinem Munde stets süß sein. O... hat kürzlich einen sehr gut geschriebenen Artikel über eine berühmte spanische Schönheit verfasst, und endigt die dichterische Beschreibung ihrer Reize mit folgenden Worten: "Sie war schön und anmutig wie Alma." Gestern bin ich seit Deiner Abreise zum ersten Male im Theater gewesen; ich habe dort weder Anmut noch Schönheit gefunden, und ich bin in der Hälfte des Stückes weggegangen. Ich bin Dir noch einige Worte der Erläuterung schuldig. Du sagst, dass ich mit zu großem Vorurteile richte, und dass ich die Annehmlichkeiten und die Vorteile verkenne, welche die großen Kreise der Gesellschaft darbieten. Man muss in sich selbst das unverwerfliche Gefühl einer gewaltigen Überlegenheit besitzen, um so nachsichtig zu fein, wie Du es bist; ich nehme leicht Ärgernis an den Schwachheiten Anderer, vielleicht weil sie zu häufig mit den meinigen in Widerspruch stehen; übrigens habe ich einen grämlichen, reizbaren, mit sich selbst unzufriedenen Geist, der geneigt ist, nur die böse Seite zu sehen, und wie mir die Gegenstände erscheinen, so beschreibe ich sie; Ja sie missfallen mir, diese abgemessenen Formen, in welcher die Anmut, indem sie zersplittert, zur Fratze wird; diese Frauen mit dem trüben und zerstreuten Blick, welche den suchen, an welchen sie am passendsten das Entgegenkommen ihrer steifen und kalten Koketterie richten können; und dieses Geschwätz ohne Sinn, welches sich stets in einem unübersteiglichen des Zwanges dreht. Wehe derjenigen, welche mit dem Reize wahrhafter Schönheit, es sich einfallen ließe, eine liebenswürdige Ungezwungenheit der Sitten und Freimütigkeit des Herzens zu verbinden! ihre Eigenschaften werden instinktmäßig hergebrachte Ansprüche verscheuchen; man wird ihr anfangs einen stürmischen Beifall zollen, man wird ihr entgegenkommen, um sie später auf eine um so auffallendere Weise abzusondern; sie wird entweder stets verletzt sein, oder sich ein doppeltes Naturell geben müssen, das eine, welches sie in ihrem Inneren bewahrt, das andere erkünstelte, um mit dieser Welt Schritt zu halten, welche es nur erlaubt, der Mittelmäßigkeit Weihrauch zu streuen. Die Männer scheinen in diesen ansteckenden Kämpfen der Eitelkeit mit den Schlichen des schönen Geschlechts wunderbar übereinzustimmen. Diejenigen, welche für geistreich gelten, entwickeln ihre Beredsamkeit mit einer unerschütterlichen Haltung über ein hundertmal wiederholtes, nach der Reihe verteiltes und immer dasselbe Nichts. Das Lächeln einer inneren Selbstzufriedenheit beseelt ihre Züge, durch die innige Überzeugung eine zahlreiche Genossenschaft zu finden, welche ihre Witzworte auffasst, und mit einem schon im Voraus gezollten Beifall belohnt, indem sie jede Äußerung eines erhabenen Gedanken wie ungebräuchliche Worte verbietet. Andere genießen pedantisch die Vorzüge ihrer Stellung, berechnen ihre Blicke, ihre Bewegungen und hören sich selbst zu, indem sie sich brüsten. Wenn man aber mit einem schon gemachten und unter irgend einer Beziehung anderswo (vorzüglich in Paris) schon ausgezeichneten Ruf ankommt, o, dann bewundern sie aufs Wort; und wenn es sich um einen Künstler handelt, so erheben sie gerade seine Fehler bis in die Wolken, denn hier muss man stark auftreten um Aufsehen zu machen, und gewöhnlich weicht man vom Guten und Schönen ab, wenn man zu kräftig anfassen will. Kurz diese Welt langweilt mich; ich verhehle mir keineswegs, dass ich ihr wahrscheinlich Gleiches mit Gleichem vergelte.