XXI. Liebesbrief





Meine Alma, Du hast klug daran getan, Dich zu einer Verlängerung Deines Engagements in Paris zu entschließen. Ich bin von einem lebhaften Gefühle der Dankbarkeit für die süßen Worte durchdrungen, in denen Du das Voraussehen der Schmerzen ausdrückst, die für mich daraus erwachsen werden. Ja Alma! es steht nicht in der Macht des Menschen die Rücksichten auf sich selbst gänzlich aus seinem Herzen zu reißen; die Natur hat sie dort als Schutzwache des Daseins eingegraben, aber eine wahrhaft reine Liebe, das erhabenste Gefühl, was die Seele erfassen kann, wird hauptsächlich durch den Sieg über diese eigensüchtigen Gefühle charakterisiert. Ich bedarf aller Kräfte meines Verstandes, um sie in meinen Beziehungen zu Dir zu entfernen; und um meine Gedanken davon abzuwenden, betrachte ich Deine Stellung aus einem von der Gegenwart weit entfernten Standpunkte. Ich sehe in Dir die große Künstlerin, welche, so lange sie ihre moralische Unabhängigkeit bewahrt, das Bild der Zukunft des Geschlechts darstellt, zu welchem Du gehörst. Dir allein ist es jetzt erlaubt, Dich über die weltlichen Vorurteile zu erheben, welche es unübersteiglich an einen Kreis von falschen Begriffen und von Heuchelei bannen, wo ihm keine Wahl zwischen sklavischer Unterwerfung, Lüge oder Schmach bleibt. Dir ist es vergönnt, durch die hinreißende Gewalt der Schönheit, der Macht des Genies zu herrschen, und Dein Schicksal auf festere Grundlagen zu bauen, ohne dass Du nötig hättest zu den Versprechungen der Liebe, zu dem Schutze Hymens Deine Zuflucht zu nehmen. Aber diese ausnahmsweise Stellung, so sehr sie auch die Bewunderung auf sich zieht, welche man ihr nicht versagen kann, beleidigt den Stolz der Männer, und verletzt in den Frauen jene Grundsätze der gesellschaftlichen Nichtigkeit, welche, als Lehren zu betrachten, man sie gewöhnt hat, deren Erörterung selbst eine Entweihung sein würde; auch stimmen beide Geschlechter darin überein, dass sie auf die Laufbahn einer berühmten Künstlerin, wenn auch nicht eine offenbare, doch eine schweigende Missbilligung werfen. Selten weiß man es ihr Dank, wenn sie, um für ihr Verdienst Verzeihung zu erhalten, die Inkonsequenz begeht, sich mit einem Gatten zu umhüllen. Meine liebe Alma, ich sehe kein anderes Verdienst in der Zuvorkommendheit, welcher Dir der Direktor der Oper in Paris erzeigt, als die richtige Würdigung seiner eigenen Interessen, was in der Tat eine Eigenschaft ist, die der Achtung wert, und viel seltener ist, als man es gewöhnlich glaubt. Du verlangst Nachrichten von unserem Theater; hier sind sie: Man wird in einigen Tagen ein neues Ballet von ... in Szene setzen und man hat die Puritaner gegeben. Man hat diese schöne Musik umgebracht. Madame ... sah eher wie eine zum vierten Male verheiratete Frau, als wie die Braut Arthur's aus. Es gibt Künstler, welche sehr stark dabei beteiligt sind, dem Publikum, vermittelst solcher Rädelsführer, deren Behauptungen es blind annimmt, glauben zu machen, dass Schönheit und Jugend sehr große Nebendinge sind, deren man auf der Bühne gänzlich entbehren kann, weil dort nach ihrer Aussage die durch das Talent hervorgebrachte Täuschung hinreicht, um den Zuschauer so zu durchdringen, dass er keine Augen mehr für körperliche Fehler haben darf; und das gute Publikum wagt es nicht, die abstoßenden Empfindungen, welche es fühlt, einzugestehen, denn es will für einen eben so ausgezeichneten Kenner gelten, als der gesatteltste Kritiker. So lässt man es bald unter der Rüstung eines Tankreds die zu ausgesprochenen Formen einer exzentrischen Wohlbeleibtheit bewundern; bald unter dem leichten Schleier einer Sylphide, ein Vollmondsgesicht durch eine zweideutige Taille mit oben und unten gleich dicken Beinen in Verbindung gebracht; aber man belehrt es zugleich über die Wichtigkeit der Treue des Kostüms, indem man behauptet, dass es, noch so unkleidsam doch unerläßlich sei. Armes Schafs-Geschlecht, das wir sind, es bedarf nur eines Hundes, um uns zu leiten! Lebe wohl, meine geliebte Alma, mein angebeteter Engel, ich kann nicht ohne Schrecken an die lange Zukunft des Wartens und des Schmerzes denken, welche ich vor mir habe.