VIII. Liebesbrief





Meine Alma, meine Vielgeliebte, Du hast mich also nicht vergessen! und an dem Tage gerade, wo ich Dir einen sehr traurigen Brief schrieb, richtetest Du den an mich, welchen ich so eben mit einer zu lebhaft gefühlten Überraschung und Freude empfing, um sie Dir ausdrücken zu können. Tausend Gedanken drängen sich in meinem Geiste, ich möchte sie Dir gern alle auf einmal mitteilen, und meine Ungeduld ist so groß, dass selbst der Gedanke an die Zeit, welche zwischen dem Augenblick verstießen wird, wo ich Dir schreibe, und dem, in welchem Du mich liest, mich stört und unruhig macht? Wie glücklich bist Du, Alma, von jener schmerzhaften Begeisterung des Gefühls frei zu sein, die Du jeder Seele einstößt, welche würdig ist, Dich zu verstehen. Wenn Du meinen letzten Brief erhalten hast, so weißt Du, weshalb ich aufgehört hatte, Dir zu schreiben; man hatte mich für ganz gewiss versichert, dass Du in sehr engen Beziehungen zu S... V... ständest, und ihn heiraten würdest. Ich vermutete, dass Dir unter diesen Umständen meine Briefe lästig sein würden, und musste daher schweigen; ich habe doppelt dabei gelitten: einmal, weil ich glaubte, dass ein solches Bündnis Dir kein Glück versprechen könnte, und dann, weil es Deine Freiheit vernichtete; und dadurch unsern Gefühlen ein unübersteigliches Hindernis in den Weg legte. Als ich die Nachricht von Deiner beabsichtigten Verbindung mit S... V... erhielt, wurde ich davon gleichsam vernichtet, bis zu dem Tage, wo der Anblick der von Dir geschriebenen Zeilen mich wieder in's Leben rief. Ich muss Dir jetzt gestehen, dass die Gerüchte boshafter Menschen gegen meinen Willen einen gewissen Einfluss auf meinen Verstand äußerten. Indessen empörte sich jedesmal, wenn ich mich davon hinreißen ließ, mein Herz dagegen, und machte mir Vorwürfe darüber. Demnach, meine angebetete Alma, ist mein Betragen gegen Dich vielleicht nicht so gewesen, als es hätte sein sollen; aber wenn Du an alle Ursachen denkst, welche meinen Geist irre leiteten, so wirst Du mich zu entschuldigen finden. Ich habe Dich hier nur während Augenblicke, die Du Deinen Beschäftigungen und Deinen Pflichten nur selten entzogst, im vertrauten Umgänge gesehen. In diesen kurzen Momenten ließ mir die Trunkenheit des Glücks, welche mir der Anblick Deiner Reize gewährte, und die Unruhe, diese einzeln gezählte Minuten so schnell entfliehen zu sehen, kaum Zeit, mit Dir einige Worte zu wechseln, in welchen der Kampf der Gedanken den Ausdruck erstickte; so habe ich es denn vernachlässigt, mich von Gegenständen zu unterrichten, deren ganze Kenntnis mir vielen Kummer und ungerechte Vermutungen erspart haben würde. Das Engagement, einige Urlaubsmonate in Neapel zuzubringen, welches Du angenommen hast, entfernt Dich weit, sehr weit von mir, denn ich habe die Erlaubnis, nicht wieder nach .... zurückzukehren, nur unter der Bedingung erhalten, in .... zu bleiben; ich habe daher keine Hoffnung Paris wieder zu sehen; den einzigen Ort, an welchem ich zu leben sehnlich wünsche, so lange Du dort so gestellt bist, wie Du mir sagst; aber mein trauriges Geschick versagt mir entschieden diese Freude. Sei glücklich, meine angebetete Freundin, das ist mein aufrichtigster Wunsch, der so frei von aller Selbstsucht ist, dass, wenn ich Dich um den Preis eines einzigen Augenblicks der Reue von Deiner Seite besitzen könnte, ich darauf verzichten würde. Sei glücklich für uns beide! Die Natur hat Dich mit allen ihren Gaben ausgestattet, und Du weißt Vorteil daraus zu ziehen; ich für meinen Teil verstehe nur Dich zu lieben und zu leiden.