IX. Liebesbrief





Meine liebe Alma, ich habe heute den Brief erhalten, welcher mir die Nachricht von Deinem dreijährigen Engagement in Paris bringt; ich glaube, dass dies die Hauptstadt ist, wo man am besten das Verdienst Deines Talentes zu schätzen wissen wird; daher finde ich, obgleich dieses Engagement für mich ein tödlicher Schlag ist, weil es mir die Hoffnung raubt Dich wieder zu sehen, doch einen einzigen und großen Trost in der Gewissheit, dass Du Dich dort der glänzendsten Lage erfreuen wirst, und stets habe ich Dein Glück, selbst wenn es sein müsste, auf Kosten des meinigen gewünscht. Das Vertrauen, welches Du mir zeigst, hat mich tief gerührt; die aufrichtigste Freundschaft, welche ich von jeder persönlichen Nebenabsicht zu befreien mich bemühen werde, wird mein Betragen und meine Rathschläge leiten. Du wirst in der Stadt leben, wo man Deiner Überlegenheit als Künstlerin und als die liebenswürdigste der Frauen würdigere Huldigungen darbringen wird, als an irgend einem anderen Orte; aber Paris ist auch der Ort, wo man am wenigsten den Wert der freimütigen Güte Deines Charakters erkennen, und nur zu sehr angereizt werden wird, ihn zu missbrauchen. Dort vor Allem (mit fast nur einigen seltenen Ausnahmen) haben die geselligen Beziehungen nur Eigennutz und Eitelkeit zur Grundlage; traue dem Wohlwollen nicht, mit welchem man dort scheinbar so verschwenderisch ist. Meine angebetete Alma, Du kennst mich hinreichend um nicht zu glauben, dass es eine mystische Überspannung sei, welche mir das eingibt, was ich Dir sagen werde; teure Freundin, man kann das Schicksal, welches alle meine Seelenkräfte um einen einzigen Punkt versammelt, indem es mich durch eine Liebe an Dich fesselt, deren hinreißende Gewalt kein Ausdruck wiederzugeben vermag, keinem eitlen Zufalle zuschreiben! Beglückter Liebling des Himmels, Du die alle Eigenschaften, welche die menschliche Natur besitzen kann in sich vereinigt, Dich behütet ohne Zweifel eine besondere göttliche Güte, und lenkt den Lauf der Dinge sowohl, als die Herzen derjenigen, welche sie zu Deinem Dienste auserwählt hat, zu Deinen Gunsten! Dich zu lieben, bin ich vom Schicksal ausersehen; so erklärt meine Vernunft die aufopfernde, beständige und treue Leidenschaft, welche alle meine Gedanken belebt, alle meine Handlungen leitet, denn lieben ohne Gegenliebe ist ein Gefühl, welches der Mensch, wenn kein Einfluss der Vorsehung damit verknüpft ist, nicht empfinden und unveränderlich bewahren kann, wie es mit mir der Fall ist. Ich liebe Dich, nicht allein weil Du das bezauberndste Geschöpf bist, welches die Erde je getragen hat, sondern auch, weil eine höhere Gewalt mich nötigt Dich zu lieben, und mein Herz als ein Werkzeug zur Erfüllung seiner Zwecke mit Dir zu gebrauchen scheint, bis es ihr gefallen wird es zu brechen, wenn es Dir zu nutzen aufgehört hat; ich würde mich daher für schuldig halten, wenn ich meine Gedanken verhehlte, um so mehr als Du mir sagst, dass Du an meiner Aufrichtigkeit glaubst. Teure Alma, Du bist nur mit Hilfe Deines Genies und Deinen schönen Naturgaben zu einer glücklichen Stellung voller blendenden Glanzes gelangt. Noch größere Erfolge erwarten Dich in Deiner Laufbahn. Die schmeichelhafteste Gewalt, die, über die Herzen zu herrschen, ist Dir zum Erbteil geworden. Wenig Frauen erlangen eine so glückliche, so gerecht verdiente Stellung, und noch seltener haben sie die Kraft sich darin zu behaupten; denn wenn mit hohen Fähigkeiten und mit einem ausgezeichneten Glücke begabte Personen einmal in Irrtum geraten, so sind ihre Fehler eben so groß, als ihre Triumphe es gewesen sind; so kann ich denn auch nicht umhin, für die Zukunft meiner Alma zuweilen zu fürchten. Du wirst über eine Freimütigkeit nicht zürnen, welche auf die zärtlichste Anhänglichkeit gegründet ist; Du wirst erkennen, dass ich um so mehr Deine Achtung verdiene, als ich auf die Gefahr, den unaussprechlichen Schmerz Deines Missfallens zu erdulden, Alles tun würde, was von mir abhinge, um Dich gegen die Wechselfälle zu verwahren, welche Deinen schönen Tagen gefährlich werden könnten. Eine Künstlerin wie Du, so berühmt und zugleich so wunderbar schön zieht notwendiger Weise die dünkelhaften Hoffnungen derjenigen auf sich, welche unter einem angenehmen Äußeren, einen unverschämten, egoistischen Charakter und ein entartetes Herz verbergen. Deine Stellung ist in dieser Beziehung der der Königinnen ähnlich; sie finden auch gewöhnlich unter ihren Höflingen nur Menschen, welche mit kaltem Blute die Mittel berechnen, sie zu betrügen. Sei daher vorsichtig Alma, mit der Gesellschaft, welche Du empfängst und besuchst, um nicht das Opfer irgend eines verächtlichen Menschen zu werden, welcher Dich um die zahlreichen Vorteile bringen würde, in deren Besitz Du bist. Nur mittelmäßigen Künstlerinnen ist es erlaubt jeder beliebigen Lebensweise zu folgen; man gibt in dieser Beziehung nicht Acht auf sie; aber an alle Handlungen einer Person von außerordentlichem Verdienste macht man die äußersten Ansprüche, und wenn Du Dir eine Blöße geben solltest, so würdest Du Dich demütigenden Angriffen aussetzen. Übrigens erwirbt eine vollkommene Künstlerin einen Reiz mehr und bereitet sich unberechenbare Vorteile, wenn sie sich in ihrem Hause ebenso unumschränkt erhält, als sie es auf der Bühne ist. Sie ehrt diejenigen, denen sie das Recht einräumt, sich ihr zu nähern, aber ein einziger kalter Blick muss hinreichen, den Mann zu entfernen, welcher sich anmaßen würde, sie zu beherrschen; sie bedarf keines Beschützers; die Höhe ihres Talents beschützt am edelsten; traurig wäre die Laufbahn derjenigen, welche die Torheit beginge, sich in die Lage zu versetzen, vor den Willen irgend Jemandes zittern zu müssen. Meine Alma, Dein süßes Lächeln verbreitet Glück um Dich; bewahre es Dir rein, unwandelbar; lasse es nicht verschwinden; gib Dir keinen Herrn unter keiner Benennung. Die Beharrlichkeit und die dringenden Vorschläge des ... werden wie ich hoffe von Dir mit einer klugen Festigkeit abgewiesen werden; möge es Dir nicht an jener Kraft des Widerstandes fehlen, der unerlässlichen Bürgschaft der Glückseligkeit, deren Du genießest! Ich muss über diesen wichtigen Gegenstand auf einige Einzelheiten eingehen; der Verstand meiner Alma fühlt keine Abneigung vor ernsthaften Betrachtungen. Ich sage Dir daher, dass in Frankreich, wo einige erhabene und glühende Geister allen Vorurteilen den Krieg erklärt haben, die Massen hingegen tief davon durchdrungen sind, und sich nur davon losmachen können, um in Übertreibungen zu verfallen, die denen, welche sie abschwören, entgegengesetzt sind; auch gibt es, trotz der sprichwörtlichen Galanterie ihrer Sitten, kein Land in Europa, wo die Menschen aller Stände sich so sehr berechtigt glauben, sich als die unumschränkten Herren des Schicksals ihrer Frauen zu betrachten; dies erhält bei ihnen das ungerechte Gesetz aufrecht, welches nicht nur die Ehescheidung verbietet, sondern sogar die Trennung schwierig macht, lind in allen Fällen das Vermögen der Frau unter der Vormundschaft, und ihr Betragen unter der Aufsicht des Mannes lässt. Gehe ein solches Bündnis nicht in Frankreich ein, und wenn Du Dich eines Tages zu dem Entschluss verleiten lassen solltest, Deine Freiheit aufzugeben, so triff Deine Wahl unter Deinen Landsleuten; sie haben weder die gehässigen und eifersüchtigen Leidenschaften der Männer des Südens, noch den Stolz und die rohen Sitten der Nordländer; so lange aber, als Du Künstlerin bleiben willst, weise das Vorhaben Dich zu verheiraten von Dir. Die Einsetzung des Ehestandes, in Hinsicht auf Ordnung für den gemeinen Mann und als Nutzen für den Schwachen aufgefasst, kann nur selten (so wie sie eingerichtet ist) den höheren Wesen zusagen, und wenngleich man sie mit einem religiösen Heiligenschein umgibt, so verdunkeln der unvermeidliche Zwang und die gemeine Enttäuschung, welche sie begleiten, doch alle Reize der poetischen Schönheit. Daher wirst Du in der Kunst, der Du Dich geweiht, eben so sehr als himmlische Jungfrau wie als entzückende Bayadere, aus Deiner zauberischen Sphäre herabsteigen, wenn Du Deine geniale Stirn mit der bräutlichen Krone belastest. Du bist eine wahre Künstlerin, im höchsten Sinne des Worts; andere sind größtenteils nur Handwerkerinnen, welche die Kunst nach ihrer größeren oder geringeren Geschicklichkeit ausbeuten, ohne die Macht zu haben, sich über die Grenzen einer alltäglichen Überlegenheit zu erheben. Dir, meiner angebeteten Alma, ist es gegeben, sie zu übertreten; Dir, die allein durch ein seltenes und unaussprechliches Zusammentreffen der Gaben der Natur mit dem lieblichsten Talente, die Begeisterung des Genies, eine göttliche Schönheit, und eine sanfte, edle, unabhängige Seele vereint. Der Himmel behüte Dich davor, den geringsten Angriff auf das zu wagen, was Dich unvergleichlich macht! Bewahre, meine Geliebte, Deine Freiheit so lange als möglich; eile fröhlich von Erfolg zu Erfolg in diesem schönen Paris! Lass Dich von Niemanden beherrschen; vermeide es besonders bei denen, welche zu Deiner nächsten Umgebung gehören, oder einige Rechte auf Dich haben, denn gerade die sind es, welche sich am ersten hinreißen lassen, sie zu missbrauchen. Man muss es niemals erlauben, dass irgend Jemand sich daran gewöhne, die Gunstbezeigungen, welche wir ihm gestatten, als eine Pflicht von unserer Seite zu betrachten, und man muss die Grenzen der wahren Pflichten sehr klüglich bezeichnen. Bewahre diesen Brief, meine Geliebte. Wenn Du ihn einst wieder ließest, so hoffe ich, dass Du Dir sagen wirst: Es war ein wahrer Freund, der mir so geschrieben hat! Gott beschütze Dich in allen Dingen! er bewahre Dich glücklich und unabhängig, denn eine vernünftige Freiheit ist das größte aller Güter; ich kenne nur eins, dass ich ihm vorziehen würde: es ist, das Herz Alma's zu besitzen? um diesen Preis möchte ich darin willigen, ein Sklave zu sein, aber auf der ganzen Welt nur der Deinige; das würde eine sehr süße und geliebte Sklaverei sein.