X. Liebesbrief





Meine sehr liebe Alma, ich habe Deinen Brief aus Paris vom ... erhalten. Die Versicherungen, welche er enthält, haben mich so glücklich gemacht, als ich fern von Dir sein kann. Der süße Titel eines wahren Freundes, den Du mir gibst, ist in meinen Augen viel schmeichelhafter, viel köstlicher, als alle diejenigen, nach welchen man in der Welt geizt. E... beklagt sich, dass er keine Nachrichten von Dir erhält; ich habe es in meinem Herzen bewahrt, dass ich glücklicher bin. Das Glück, dessen man nur durch den Wert genießt, den man darauf legt, gewährt eine reine Zufriedenheit, die bei weitem die Vergnügungen der Eitelkeit übertrifft. Die Kopie Deines Bildnisses ist fertig, und Dank sowohl den Angaben I...'s, als einem glücklichen Zufalle, sie nähert sich viel mehr der Wahrheit, als das Original; nicht, dass es dem Maler gelungen wäre, Dich so schön darzustellen, als Du es bist, aber es ist ihm wenigstens geglückt, jenes verschleierte Lächeln, welches so entzückend an Dir ist, wiederzugeben, so wie den Ausdruck, welcher in Deinen Augen glänzt, und in Deinen Zügen den erhabenen Charakter eines höheren Wesens darstellt. Man wird Dein Bildnis niemals vollkommen ähnlich machen: das Genie, das Talent können solche Reize träumen, entwerfen, aber sie werden nie ein treues Bild davon wiedergeben können, so unnachahmlich machen sie die flüchtigen Schattierungen der moralischen Vollkommenheiten, welche sich in jeder Bewegung Deiner Gesichtszüge abspiegeln. Du weißt, ob die Liebe meine Seele glühend für Dich begeistert! und doch habe ich mehrmals vergebens versucht, den Eindruck zu schildern, welchen Deine Schönheiten erwecken; nie habe ich würdige Worte finden können, um meine Empfindungen auszusprechen, denn die Ausdrücke der Vergleichung fehlen gänzlich. Ich schicke Dir einen dieser Versuche. Es ist nur eine matte Herzählung Deiner Reize, ähnlich der Arbeit M...'s; einige hingeworfene Züge, zubereitete Farben, aber das Werk ist nur als unförmlicher Entwurf vorhanden; leihe mir Dein Genie, und das Gemälde wird fertig sein. Alma, Du bist eins jener unnachahmlichen Geschöpfe, welche erschaffen zu sein scheinen, um das Ideal überirdischer Schönheiten zu geben; wenn man Dich sieht, so wird man bewogen, an das System zu glauben, welches vermutet, dass unser Wesen verurteilt ist, einer Reihe von Verwandlungen zu unterliegen, ehe es zu der höchsten Stufe gelangt, wo es ein Engel wird. Du hast wahrscheinlich dieses Ziel schon erreicht! wir Anderen, wir können Dich bewundern, aber Dein Bild nicht schildern. Nimm Dir, geliebte Alma, die elenden Verleumdungen nicht zu Herzen, welche die Unverschämtheit und die feige Eitelkeit einiger Personen verbreiten möchten. Die rohen Sitten und die Vorurteile des Pöbels erlauben es nicht, zu hoffen, dass eine durch die Höhe ihres Talents eben so wohl, als durch ihre persönliche Reize berühmte Künstlerin, Beschuldigungen dieser Art entgehen sollte. Dein in meinem Arbeits-Kabinett aufgehängtes Bild ist den Blicken der Ungeweihten entzogen. Es begeistert mich, wie ein Heiligen-Bild, und wird so lange die Stütze meines Lebens sein, so lange das Schicksal, welches stets den tiefgefühlten und aufrichtigen Neigungen entgegen ist, mir es versagt, in Deiner Nähe zu weilen. Ich war überzeugt, teure Alma, dass Du Dir, mehr als an irgend einem andern Orte, in diesem feenhaften Paris gefallen würdest. Frankreich war auch das Land meiner süßesten Sympathien; ich habe dort glückliche Jahre verlebt, in welchem die Zeit mir eben so schnell als reizend verfloss, und als ich es verlassen musste, empfand ich die Schmerzen der Verbannung. Überdies war ich unter Franzosen erzogen, beinahe ihr Landsmann geworden, und der so anschmiegende, so anziehende und so ritterliche Charakter dieses Volks fesselte mich lebhaft an sein Schicksal; auch betrübt es mich sehr, wenn ich sehe, wie seine liebenswürdigen, sorglosen und lachenden Sitten sich jetzt verwischen, vorzüglich nach jener letzten revolutionären Qual, wo es scheint, als ob der Gallier, nachdem er die letzte Bande des Joches zerrissen hat, welches ihn den Franken unterwarf, sich bemüht, seine alte Rohheit und seine düsteren Leidenschaften wieder hervorzurufen.