XXV. Liebesbrief





Meine geliebte Alma, Du wirfst mir meine Besorgnisse über Deine Gefühle vor; Du sagst mir, dass Du ihren Grund nicht errätst. Du, die so gut Leidenschaften schildern kann, Du hast sie studiert, Du kennst sie, also musst Du auch wissen, ob man ruhig sein kann, wenn durch eine unüberschreitbare Entfernung von dem Gegenstände der glühendsten Liebe getrennt, man weiß, dass die offene Güte ihres Herzens sie den Fallstricken der Unrechtlichkeit leicht aussetzen kann, und dass ihre Talente, ihre Reize, ihre Stellung, die Gefühle und die Eitelkeit derjenigen ins Spiel bringen, welche über alles das verfügen, was der Einbildungskraft schmeicheln kann. Du meinst, dass ich geheim gehaltenen Gedanken einen Einfluss zugestehe, dass ich Dich zu verletzen fürchte, wenn ich sie Dir mitteile. Das heißt fast glauben, als fehle es mir an Freimütigkeit. Ich weiß, meine Alma, dass die Überlegenheit Deines Charakters Dich hoch über diejenigen stellt, welche stolz auf eine Klugheit sind, deren Ausübung zu erleichtern nichts gespart worden ist, oder welche in ihnen nichts als eine Berechnung des Eigennutzes ist. Ich kenne Dich, und ich könnte das Gemälde Deines Lebens entwerfen, so wie es von der Morgenröte Deiner Laufbahn an gewesen sein muss. Ich sehe dieses junge und so schöne Kind, mit dem zärtlichen und vertrauensvollen Herzen, mit der glühenden Empfänglichkeit einer Südländerin, deren köstliche Flammen in Deinen Augen glänzen; und im Grunde des Herzens den erhabenen Keim des Genies, einer himmlischen Güte und eines edlen Stolzes, den kostbaren Keim, den Nichts verderben konnte, der sich bei jeder günstigen Gelegenheit entfaltete, und Dich trotz tausend Fesseln täglich besser werden, täglich als Künstlerin und als Weib fortschreiten ließ. Ich sehe dieses Kind der bezaubernsten, blendendsten aller Künste gewidmet, umgeben von Verführungen aller Art, und von Leuten, welche sich kein Gewissen daraus machten, es im Interesse ihrer feigen und frechen Eitelkeit zu täuschen und zu entehren zu suchen. Ich bemerke wie oft, ungeachtet eines scheinbar sorglosen, ganz mit Vergnügen und Freude erfüllten Lebens, dieses zur Jungfrau gewordene Kind, von der Falschheit und der kalten Bosheit der Männer, verletzt und betrübt werden musste; wie oft unter einem bezaubernden Lächeln sich bittere Schmerzen verbargen. Alma, gleich einer Gottheit zur Prüfung auf die Erde verwiesen, wurde dort verkannt, gefoltert. Auf diese Weise hat ein gerechtes und fast allgemeines Misstrauen in Dir entstehen müssen, welches Dich verleitet die aufrichtige wenig überzeugende Freimütigkeit misszuverstehen, und Dich von der raffinierten Kunst zu betrügen, verblenden lässt. Dies fürchte ich am meisten für Dich, und ungeachtet der Versicherung, welche Du mir von einem wahren und gänzlichen Vertrauen gibst, besorge ich doch, dass die verlängerte Trennung, in welcher wir leben, jenes Gefühl, welches Du noch in seiner ganzen Stärke zu besitzen glaubst, Dir selbst unbewusst, verändert hat, und dass es den Leuten die dabei interessieren, Dich von Deinen Grundsätzen abzuleiten, gelingen wird, sie zu schwächen. Ich habe in Dir eine andre Hälfte meiner Seele gefunden, welche sich nur durch den Gedanken mit der meinigen vereinte, und Du wurdest für mich der offenbarende Genius eines neuen Daseins. Möchtest Du darin willigen, ihn zu vernichten! Deine Güte, Deine schüchterne Sanftmut, könnten sie in Schwäche ausarten? Alma, nicht wahr, Du verbirgst mir Deine geheimsten Gedanken nicht, Du wirst Deine Zukunft nicht scheinbaren Vernunftgründen, missverstandenen Pflichten opfern? Es herrscht in Deinen letzten Briefen eine vielleicht unwillkürliche Verheimlichung, welche aber in der Lage, worin ich mich befinde, verzweifelt ist, und nicht so sehr meinetwegen, als über Dein Schicksal bin ich trostlos. Eine grausame und unwiderstehliche Macht hält mich fern von Dir. Diese lange Ausschließung von der glänzenden Sphäre in welcher Du herrschest, muss mich in Deinem Gedächtnisse verwischen, und ich kann mir nicht schmeicheln, dass mir die Zukunft günstiger sein wird; im Gegenteil steigt Dein Wert mit jedem Tage, und ich gelte täglich weniger; wie könnte ich da hoffen, dass wir uns wieder vereinigen können! Ich verlange nur, dass Du mir Deine Entschlüsse nicht verhehlest. Glaube an die Aufrichtigkeit meiner Worte; ich wünsche nur Dein Glück, und abstrahiere dabei gänzlich von meinem persönlichen Wohlergehen: es würde Deinerseits ein für uns Beide schädlicher Irrtum sein, wenn Du Dir einbildetest, dass es jetzt besser wäre, mir durch Stillschweigen schmerzliche Gefühle zu ersparen. Möchtest Du mich verstehen? Ich kann mich nicht näher erklären, bevor Du diesen Brief nicht beantwortet hast. Lebe wohl, meine Alma, letzter Blitz des Glücks, der meine Augen verblendet hat. Lebe wohl süßes und köstliches Andenken der einzigen wahren Glückseligkeit, welche ich empfunden habe. - Ich werde vielleicht einen Ausflug nach ... machen, obgleich der Gedanke einer Ortsveränderung mich belästigt, als hielte mich die Erde hier fest! Wenn das Herz leidet, so weiß man nicht, wohin man den Kopf legen soll, um ein wenig Ruhe zu finden.