XIX. Liebesbrief





Mein guter und lieber Engel, so oft ich von Dir einen Brief erhalte, verursacht er mir eine solche Erschütterung, dass, da meine Einbildungskraft über das hinausgeht was Deine Worte ausdrücken, ich dann oft Etwas lese, was er nicht enthält, und das nicht sehe, was wirklich darin liegt; und da meine Ungeduld mich zwingt, Dir gleich zu antworten, so musst Du bemerken, dass das was ich Dir sage, keinen Bezug auf das hat, was Du mir geschrieben hattest; daher finde ich, nachdem ich heute Deinen letzten Brief wieder gelesen habe, mich in die Notwendigkeit versetzt, Dir eine zweite umständlichere Antwort zu geben. Es ist wahr, dass ich aus dem Reize Deiner Züge und Deiner Blicke das ahnte, was Dein Herz sein musste, und wenn Du weniger schön, weniger groß in Deiner Kunst wärest, so hätte ich vielleicht nicht gesucht Dich kennen zu lernen; jetzt aber, wo ich das Glück habe in der Tiefe Deiner Gedanken zu lesen, sind es vor Allem Deine Gesinnungen, welche mich für immer an die bezaubernden Reize Deiner Person gefesselt haben. Dein künstlerischer Ruf ist jetzt so festgestellt, dass man sich sogar in den entferntesten Ländern des Mittelpunktes der Zivilisation mit Dir beschäftigt. Unter der großen Zahl von Artikeln, welche über diesen Gegenstand erschienen, sind die einzig wirklich gut verfassten die von I. I..., dessen ausgezeichneter Geist, so wie dessen Stellung, welche ihn über die gewöhnlichen Zeitungsschreiber erhebt, die Richtigkeit und Unparteilichkeit seiner Urteile verbürgt. Es ist sehr Schade, dass diese Klasse von Schriftstellern, welche sich der Gesellschaft so nützlich machen könnte, sich immer mehr unter einem Haufen ungebildeter, unwissender, gieriger Zeitungsschmierer ergänzt, welche die Intelligenz in Wahrheit gleich machen möchten, und Lob und Tadel auf eine Weise schänden, dass man nicht den mindesten Wert darauf legen kann, und es ist eben so sehr für die Kunst als für die Künstler zu beklagen, dass sie unmittelbar von dem Einflüsse solcher Leute abhängen. Du glaubst, meine Alma, dass die Blumen, welche Du in Deine Loger gefunden hast, von einem Freunde herrühren; sei überzeugt, dass die Freundschaft, welche ein so entzückendes Weib wie Du einstößt, stets von einem zärtlicheren Gefühle begleitet ist. In allen Kronen, welche man Dir zu Füßen legt, mischt sich die Liebe mit der Bewunderung; es ist nicht jene leidenschaftliche Liebe, welche ihr Leben gleichwie man eine Blume opfert, aber eine hinreißende Gewalt, welche der Glanz der Schönheit und das Talent unerlässlich ausübt. Du wirst also die Rolle der ... spielen; man wird dadurch in Paris Deine feurige und graziöse Pantomime kennen lernen, was den Enthusiasmus, den Du erregst, verdoppeln muss. Was das neue Ballet betrifft, welches man für Dich macht, so muss es sehr trocken sein, wenn es aus dem Romane entnommen ist, dessen Titel es trägt; es ist in der Art, welche jetzt unglücklicherweise an der Tagesordnung ist. Meine Alma, die geniale und mit einem auserlesenen Geschmacke begabte Künstlerin, wird in ihr Spiel jene sanfte Zurückhaltung zu legen wissen, welche selbst die schlüpfrigsten Szenen verschleiert. Indessen glaube ich, dass Deine Neider darum nicht weniger die Gelegenheit ergreifen werden, übles von Dir zu sagen. Deine Blicke sagst Du mir, richten sich unwillkürlich nach den ersten Logen auf der Seite, wo die meinige in M... ist; nimm Dich in Acht, dass Du auf diese Weise nicht einen Liebhaber mit Ziegenbart, Dolch und Messer, anziehst. Erinnere Dich des sonderbaren Abenteuers des Fräuleins ...; Du wagst weit mehr wie sie, Du, tausendmal schöner, anziehender. Dieser Gedanke quält mich häufig. Geliebte Alma, ich glaube, dass man durch einen festen und reinen Willen, dem geliebten Gegenstande Glück zu bringt, es in der Tat bewirken kann; ich fühle oft plötzliche und energische Bewegungen, als wolle sich meine Seele von mir losreißen, um Dich vor den Gefahren zu schützen, die Dir drohen. Es ist nicht unmöglich, dass dem so sei; - was fest steht, ist, dass ich mich durch eine unaussprechliche Sympathie zu Dir hingezogen fühle.